Mit lädierter Hüfte die Berge hinauf

Floyd Landis ist vor der ersten Alpenetappe Favorit auf den Gesamtsieg der Tour de France

  • Tom Mustroph, Gap
  • Lesedauer: ca. 3.5 Min.
Kaum ist der eine Amerikaner weg, taucht ein anderer auf, um die Tour zu dominieren. Floyd Landis, der einstige Co-Equipier von Lance Armstrong, ist mittlerweile der fünfte US-Bürger, der das gelbe Trikot der Tour de France eroberte und der dritte, der sie gewinnen kann.
Seinem Vorgänger Armstrong gleiche er kaum, verrät Victor Hugo Pena. Der Kolumbianer, einst selbst in Gelb in Frankreich unterwegs, unterstützte vier Jahre den Texaner und gilt nun als einer der wichtigsten Helfer von Landis. »Armstrong war der große Meister. Zu ihm habe ich aufgeblickt. Er hat alles in der Hand gehabt, auf ihn hat sich alles konzentriert. Floyd ist mehr ein Freund. Wir begegnen uns auf gleicher Höhe«, vergleicht Pena. Die ganze Atmosphäre im Team, die zu großen Teilen vom Charakter des Kapitäns geprägt wird, sei viel familiärer.

Vor den Eltern »geflohen«
Landis und Armstrong mögen sich in vielem unterscheiden - in drei wichtigen Aspekten, ihrer kühlen Taktik, ihrer enormen Willenskraft und ihrer Leidensfähigkeit, sind sie sich jedoch ähnlich. Wie einst Armstrong hat Landis das gelbe Trikot auf den Flachetappen abgegeben; er ist sich sicher, es in den Alpen quasi automatisch wieder zu gewinnen.
Willensstärke bewies der aktuelle Star der Tour de France, als er sich über den Radsport aus der religiösen und kulturellen Enge seiner mennonitischen Familie befreite. Die »Amish People« lehnen jede moderne Technologie, wie etwa Autos und Fernsehen, ab. »Für mich war die Radsportkarriere, das Reisen zu Wettkämpfen, eine Form von Flucht«, gesteht Landis heute ein. Seinen Wohnsitz nahm er in San Diego in Kalifornien, dem Ort, der am weitesten vom Heimatort Lancaster in Pennsylvania entfernt ist.
Im Radsport dann hatte er sich der Allmachtsansprüche Armstrongs zu erwehren. »Ich war nie sein bevorzugter Schützling«, blickt Landis zurück. Vor einem Jahr verließ er die Armstrong-Truppe, um seinen eigenen Weg als Chef beim Schweizer Phonak-Rennstall zu gehen.
Am Rande der Tour de France gab Landis nach zweijährigem Schweigen seine gesundheitliche Leidensgeschichte bekannt. Er ist zwar nicht wie Armstrong dem Tod von der Schippe gesprungen. Doch er betreibt mit einem Hüftleiden, mit dem andere nicht einmal mehr Milch holen könnten, Hochleistungssport. Seit einem Sturz im Januar 2003 verspürt Landis Schmerzen in der Hüfte. Im November 2004 erhielt er die Erklärung: fortgeschrittener Knochenfraß. Die Diagnose blieb bei den Vertragsverhandlungen mit Phonak sein Geheimnis. »Ich biss die Zähne zusammen und bestand die ärztliche Untersuchung«, gab er nun zu. Mittel gegen die Schmerzen nehme er nicht, heißt es fast schon ehrfurchtsvoll bei Phonak.
Landis Arzt Allen Lim sieht in der großen Leidensfähigkeit seines Schützlings einen Wettbewerbsvorteil. »Er musste durch so viele schwere Situationen durch. Er verfügt über einen starken Charakter. Er ist intelligent und kann Rennsituationen ausgezeichnet einschätzen.« Lediglich für eine Schwäche sorgt die kaputte Hüfte: Bei kurzen schnellen Anstiegen raubt der Schmerz im Gelenk dem Sportler fast die Sinne. Dann muss der Allrounder etwas langsamer treten.

Voigt fordert Gentest
Dass Landis mit einer vorteilhaften Physis ausgestattet ist, weiß man seit langem. Als Neuprofi bei US Postal belegte der 26-Jährige 2002 den zweiten Platz der schweren Dauphine-Rundfahrt hinter seinem Kapitän Lance Armstrong. Man sah in ihm schon einen potentiellen Nachfolger des Texaners. 2004 zerrieb er für Armstrong unermüdlich das Tour de France-Peloton in den Alpen. »Floyd war an diesem Tag stärker als ich«, gab der Tourpatron später beeindruckt zu.
Mittlerweile ist Landis gereift. Sein leidenserprobter und leistungsfähiger Körper wird durch einen unerbittlichen Geist gelenkt. »Im Herbst werde ich eine Hüftoperation auf mich nehmen und mir ein künstliches Gelenk einsetzen lassen. Ob ich danach auf diesem Niveau fahren kann, ist ungewiss.« sagt der diesjährige Sieger der Rundfahrten von Georgia und Kalifornien sowie der prestigeträchtigen 4-Etappenfahrt Paris-Nizza.
Sein Arzt schwächt die Dramatik ab: »Amateurrennfahrer haben durch eine künstliche Hüfte nicht an Leistungsfähigkeit eingebüßt.« Lim sagt sogar voraus, dass Landis mit künstlichem Gelenk noch besser fahren wird. Die moderne Medizin macht so aus Lazarus Herkules. Ein Umstand, der zwingt, über erlaubte und unerlaubte Medizin (Doping) neu nachzudenken.
Fahrersprecher Jens Voigt hat sich unterdessen für einen Gentest aller Radprofis ausgesprochen. Jeweils eine Blut- und Haarprobe sollten für Zweifelsfälle wie dem in Spanien und für später entwickelte Testverfahren bis zu zehn Jahre konserviert werden, forderte der 34-Jährige, dessen Kapitän Ivan Basso von...

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