Fast historisch
Michael Schlecht über einen echten Mindestlohn
Der 3. Juli 2014 hätte ein historischer Tag für die soziale Gerechtigkeit in Deutschland werden können, hätte der Bundestag einen flächendeckenden Mindestlohn ohne Ausnahmen in Höhe von zehn Euro pro Stunde verabschiedet. Leider ist dies nicht geschehen. Vielmehr gibt es einen Mindestlohn von 8,50 Euro mit viel zu vielen Ausnahmen. Anstatt fünf Millionen Menschen vom Hungerlohn zu befreien, werden es vermutlich nur 2,5 Millionen sein. Das ist mehr als nichts. Gleichzeitig sind mit der Einführung eines ungenügenden, zerstückelten Mindestlohnes die Auseinandersetzungen der nächsten Jahre vorgezeichnet. In der Bundestagswahl 2017 wird es aus heutiger Sicht um einen wirklich flächendeckenden Mindestlohn von zwölf bis 13 Euro gehen.
Bereits im ursprünglichen Regierungsentwurf der Großen Koalition war vorgesehen, dass junge Beschäftigte unter 18 Jahren und Langzeiterwerbslose vom Mindestlohn ausgenommen werden. Sie werden so zu Beschäftigten zweiter Klasse gemacht.
Rund einer Million Langzeiterwerbslosen wird der Mindestlohn vorenthalten. Aber gerade sie werden besonders häufig mit niedrigen Löhnen abgespeist. Statt dies noch zu legitimieren, hätte die Koalition sie in den vollen Schutz des Mindestlohnes einbeziehen müssen.
Mehr als 300 000 Jugendliche arbeiten und sind nicht in einer Ausbildung. Fast alle von ihnen gehen ausschließlich einem Minijob oder einer kurzfristigen Beschäftigung nach - in der Regel Schülerinnen und Schüler, die sich neben der Schule oder in den Ferien etwas hinzuverdienen. Dass sie für ihre geleistete Arbeit weniger Lohn erhalten sollen als über 18-Jährige, ist Altersdiskriminierung und verfassungswidrig.
Kurz vor der Abstimmung hat die Regierung ihren eigenen Gesetzentwurf geändert und ZeitungszustellerInnen, Saisonarbeitskräfte und PraktikantInnen vom Mindestlohn ausgenommen. Aber je mehr Ausnahmen es gibt, desto schwieriger werden die Kontrollen und desto weniger ist den Betroffenen bekannt, welche Regelung für sie gilt. Die Einführung eines Verbandsklagerechts für die Gewerkschaften ist für die Durchsetzung des Mindestlohns wichtig. Wird er nicht gezahlt, können die Gewerkschaften für die Beschäftigten ihre Unternehmer auf dem Klageweg zur Zahlung verpflichten.
Seit mehr als zehn Jahren haben vor allem ver.di, die NGG und die LINKE für den gesetzlichen Mindestlohn gekämpft. Künftig muss es darum gehen, einen wirklich flächendeckenden Mindestlohn durchzusetzen. Das hat seit der Verabschiedung des Tarifautonomiegesetzes am Donnerstag bessere Ausgangsbedingungen. Darüber hinaus ist es entscheidend, gewerkschaftliche Durchsetzungsmacht im Kampf um bessere Tariflöhne und Arbeitsbedingungen wieder zu stärken. Dazu müssen prekäre Arbeitsverhältnisse beendet werden.
Der Autor ist Mitglied der Linksfraktion im Bundestag.
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