Die Märchen des Feuerteufels von Köpenick

Prozessauftakt gegen einen 23-Jährigen, der Berlin zwei Jahre in Angst und Schrecken versetzt haben soll

  • Peter Kirschey
  • Lesedauer: 4 Min.
»Das ist eine der dämlichsten Einlassungen, die ich je gehört habe«, sagt die Vorsitzende Richterin der 7. Großen Strafkammer zum »Geständnis« des Angeklagten.

Oliver H., ein schmächtiger junger Mann, hellwach und mit großer Erzählkunst ist angeklagt, 18 Brände im Berliner Raum, vor allem in der Wuhlheide und Friedrichshagen gelegt zu haben. Zwischen Mai 2011 und Oktober 2013 brannten eine Baracke am S-Bahnhof Wulheide, eine Lagerhalle in Friedrichshagen, ein leerstehendes Gebäude einer Brauerei, ein Gebäude der ehemaligen Wäscherei Rewatex, ein Stellwerksturm. Auf dem Brauereidach von »Bärenquell« befanden sich Personen, die dort übernachteten, ein Rückweg war ihnen durch Rauch und Feuer abgeschnitten. Über Feuerleitern konnten sie gerettet werden. Baracken auf dem Bahngelände gingen in Flammen auf, die oft von Obdachlosen als Quartier genutzt wurden. Wie durch ein Wunder kam bei all den Zündeleien niemand zu Schaden. Die Brände brachen meist nach Mitternacht aus, wenn sich niemand in der Nähe der Objekte befand.

Nun steht der heute 23-jährige Arbeits- und Berufslose vor Gericht. Er will aussagen, doch was und wie er plaudert, lässt den Zuhörern die Haare zu Berge stehen. Nur zwei der Brände will er mitgelegt haben, bei den anderen war er nur Zuschauer oder total abwesend, behauptet er. Doch die Polizei hatte ihn schon eine Weile im Visier, nur keine konkreten Anhaltspunkte. Sein Name tauchte immer wieder auf, wenn ein Brand gemeldet oder umstehende Zeugen befragt wurden. Wo es qualmte und loderte - Oliver H. war immer dabei. Dann unterlief dem mutmaßlichen Brandstifter ein folgenschwerer Fehler. An seinem Bildschirm hatte er sich einen Ausweis als Polizeihauptkommissar des Bundeskriminalamtes zusammengebastelt. Mit dieser Fälschung kontrollierte er in der Nähe eines Tatortes einen Unbeteiligten. Der notierte sich den Namen und reichte ihn an die Polizei weiter. Als die Kripo seine Wohnung durchsuchte, fand sie auf seinem Computer Bilder und Filme von den verschiedenen Bränden.

Die Bilder, erklärt H. nun, seien nicht von ihm. Eine unbekannte Person habe die Videos auf seinem Computer installiert. Mehrfach habe man versucht, ihn telefonisch zu erpressen. Er solle irgendwo hingehen und Feuer legen, sonst ergehe es seiner Familie schlecht. Er vermute hinter den Anrufen einen Exfreund, weil er einmal mit dessen Freundin fremd gegangen sei. Er habe mit niemandem darüber gesprochen und auch nicht die Polizei eingeschaltet, weil ihm sowieso niemand glauben würde. Immer wieder fragt die Richterin nach, dann gibt sie dem Angeklagten eine Denkpause, in der er sich mit seiner Verteidigerin verständigen soll, ob er an diesen Märchen festhalten will. Doch Oliver H. bleibt bei seinen Geschichten. Finstere Mächte haben ihn ohne sein Zutun auf den Pfad der Flammen gebracht, er habe keine Ahnung, wie das alles zusammen hänge. An den Tag des ersten Brandes vor nunmehr drei Jahren hat er nach eigenen Angaben minutengenaue Erinnerungen, an den Namen seiner damaligen Freundin, mit der er zwei Jahre zusammen gewesen sein will, nur verschwommene. Vielleicht hilft der Hinweis der Verteidigerin, den Fall zu verstehen: In seiner Kindheit soll bei Oliver H. die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) diagnostiziert worden sein. Möglicherweise ist H. sogar davon überzeugt, unschuldig bei den meisten Anschlägen zu sein.

Der Kriminalkommissar, der die Ermittlungen zu den Bränden leitete, ist sich sicher: Nur Oliver S. kommt für die Taten infrage. Er hat in den Vernehmungen so viel Täterwissen offenbart, die kein anderer haben konnte. »Eher schlägt ein Meteorit in Berlin ein, als dass er nicht der Täter ist«, so das Fazit seiner Aussage. Die Videos auf seinem Computer identifizieren ihn eindeutig als Brandstifter, betont der Ermittler. Bis Ende Juli soll verhandelt, dann das Urteil gesprochen werden.

Feuerlegen scheint wieder groß in Mode gekommen zu sein. Rund 20 Mal am Tag muss die Berliner Feuerwehr ausrücken, um einen Brand zu löschen. Müllcontainer, Fahrzeuge, leerstehende Objekte. In den meisten Fällen ist es Frust auf die Umwelt, politische Motive eher selten. Drei Berliner Brandkommissariate müssen dann entscheiden, ob es Brandstiftung oder technischer Defekt war, der den Brand ausgelöst hat. In jüngster Zeit gab es mehrere spektakuläre Brandstiftungen. So brannte im Juni der Wasserturm von Heinersdorf, loderte das Feuer auf dem ehemaligen Klinikgelände in Buch, wurde das Café »Mythos« im Spreepark vernichtet. In Flammen gingen das Informationszelt der Flüchtlinge auf dem Oranienplatz, eine Wohnbaracke auf der Cuvry-Brache und das Modell eines russischen Soldaten vor dem Haus der Berliner Festtage auf.

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