Dem Tod ins Auge schauen

Das fotografische Bild von Konflikten und Kriegen

  • Felix Koltermann
  • Lesedauer: 7 Min.

In diesem Jahr wird europaweit an den Beginn des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren erinnert. Der Krieg hatte nicht nur für den Alltag der Menschen in Europa brachiale Folgen, auch für die bildnerische Darstellung des Krieges brachte er eine Zäsur. Zum ersten Mal in der Geschichte wurde der Krieg in den Massenmedien mit Hilfe der Fotografie auch bildnerisch dargestellt.

Heute ist die fotografische Abbildung von Konflikten und Kriegen ein elementarer Teil massenmedialer Berichterstattung. Aber anders als vor 100 Jahren können große Teile Europas auf eine Zeit ohne zwischenstaatliche Kriege zurückblicken, die nun schon fast 70 Jahre andauert. Dies bedeutet, dass immer weniger Menschen Krieg am eigenen Leib erlebt haben. Dem Erzählen über Konflikte und Kriege, unter anderem durch die Fotografie, kommt von daher eine gesteigerte Bedeutung zu.

Von Ethik bis Ästhetik - Fragen an die Kriegsfotografie

Mit der fotografischen Dokumentation von Kriegen und Konflikten ist eine Vielzahl von Fragestellungen verbunden. Es geht dabei etwa um ethische Maßgaben, das Verhalten in Krisenregionen, den Umgang mit anderen Konfliktakteuren, aber auch um Probleme bei der Distribution und Publikation und um Fragen der Ästhetik. Einige dieser Themenfelder zwischen Fotojournalismus, Nachrichten- und Dokumentarfotografie in Bezug auf Kriege und Konflikte werden im Essayband »Fotografie und Konflikt - Texte und Essays« (Books on Demand, 76 S., 5,90 €) unseres Autors Felix Koltermann angesprochen.

Dies geschieht unter anderem anhand des israelisch-palästinensischen Konflikts. Die im Buch versammelten Texte und Essays sind im Rahmen der Recherchen für die Promotion des Autors zwischen den Jahren 2011 und 2014 entstanden. Einige davon sind unveröffentlicht, andere wurden bereits auf seinem Blog veröffentlicht. Überarbeitet und redigiert erscheinen die Texte zum ersten Mal in Buchform. Zu aktuellen Fragestellungen im Zusammenhang mit Fotografie und zeitgenössischem Krieg schreibt Koltermann unter www.fotografieundkonflikt.blogspot.com. nd

 

 

Aber was ist eigentlich Kriegsfotografie? Bedeutet dies ausschließlich die Darstellung kriegerischer Ereignisse? Was sind Ereignisse, die dem Krieg zugeordnet werden können? Welche Formen der Gewalt sind überhaupt sichtbar? Was sind Konventionen der Sichtbarkeit? Gibt es so etwas wie eine Ästhetik des Krieges? Wer sind diejenigen, die diese Bilder produzieren? Wer macht Bilder von wem? Wie sind die Distributionskanäle? Was motiviert Zeitungen und Magazine, diese Bilder zu publizieren und welcher Art sind die Bilder, die nicht gezeigt werden? Diese und viele Fragen mehr stellen sich, nähert man sich dem Thema der fotografischen Darstellung des Krieges an.

Auch wenn mit der Kriegsfotografie immer noch das Bild des einsamen, auf sich alleine gestellten Fotoreporters verbunden ist, so gehört dieses heute der Vergangenheit an, wenn es überhaupt je der Realität entsprach und nicht immer schon ein verkaufsförderndes Klischee und ein Mythos war. Kaum ein Fotograf, der über Kriegsregionen berichtet, bezeichnet sich als Kriegsfotograf. Für viele geht es um das journalistische Dokumentieren dessen, was Menschen sich antun, weltweit.

Im 21. Jahrhundert ist auch der Fotojournalismus von institutionalisierten Routinen geprägt und findet in organisatorischen Strukturen statt. Reisen in Krisen- und Kriegsgebiete sind aufwendig und kosten viel Geld. Meist reisen die Fotografen im Auftrag von Redaktionen oder Agenturen. Eine gute Ausrüstung ist ebenso wichtig wie eine gute Absicherung und ein Szenario für den worst case, um eine Region verlassen zu können. Zeitpläne sind einzuhalten und manchmal auch visuelle Vorgaben zu erfüllen. Dabei finden sich unter dem Label der Kriegsfotografie sowohl tagesaktuell arbeitende Nachrichtenfotografen als auch an Geschichten orientierte, erzählerisch arbeitende Dokumentarfotografen. Das Berufsfeld ist so vielschichtig, wie es die visuellen Zeugnisse von Kriegen und Konflikten sind.

Die fotografische Dokumentation von Kriegen und Konflikten war schon immer mit großen Gefahren verbunden. Die Veränderung des Krieges und zeitgenössischer Konflikte, die oft mit dem Stichwort der Asymmetrie beschrieben wird, hat diese Gefahren jedoch erhöht. Viele zeitgenössische Konflikte sind Bürgerkriege, in denen lokale Gewaltherrscher in begrenzten Räumen Macht ausüben und sich meist nicht an das Völkerrecht gebunden sehen. Fotografen und Journalisten sind von deren Gnaden abhängig.

Allein seit Beginn dieses Jahres fanden zwei europäische Fotografinnen in Konfliktregionen den Tod. In Afghanistan wurde die deutsche Fotoreporterin Anja Niedringhaus von einem Soldaten der afghanischen Armee erschossen, der den Tod von Familienmitgliedern durch einen NATO-Angriff rächen wollte. Im Mai wurde in den Bürgerkriegswirren in Zentralafrika die französische Fotografin Camille Lepage getötet. Am gefährdetsten sind jedoch immer lokale Fotografen sowie Übersetzer und Fahrer der internationalen Kollegen.

Aber nicht nur Warlords bedrohen die Sicherheit ausländischer und lokaler Fotografen und Journalisten. Vor einigen Jahren zeigte ein unter dem Namen »Collateral Murder« berühmt gewordenes Video, wie US-amerikanische Soldaten aus einem Hubschrauber auf eine Gruppe von lokalen Reportern schießen und unter anderem einen irakischen Reuters-Fotografen töten. Dank Wikileaks und dem Whistleblower Private Bradley Manning, der später den Namen Chelsea Manning annahm und heute als Frau lebt, kam dieses Video an die Öffentlichkeit.

Ebenso alt wie die Geschichte der Kriegsfotografie ist auch die Geschichte der fotografischen Kriegspropaganda und der Bildmanipulationen. Ausstellungen wie »X für U - Bilder, die lügen«, die Ende der 1990er Jahre im Bonner Haus der Geschichte zu sehen und dann als Wanderausstellung unterwegs war, haben dies eindrücklich nachgezeichnet. Die Digitalisierung der Fotografie hat dabei nicht nur die Manipulation vereinfacht, sie hat auch deren Nachweis beschleunigt.

Manipulationen finden sich sowohl auf der Ebene der Inszenierung von Ereignissen als auch auf jener der Nachbearbeitung und Retuschierung des fotografischen Bildes. Was erlaubt ist und was nicht, ist dabei immer wieder Gegenstand von Diskussionen des Berufsstands. Der schwedische Fotograf Paul Hansen gewann den World Press Photo Award 2012 mit einem Bild aus dem Gazastreifen, dessen Ästhetik durch die digitale Bearbeitung an ein Filmplakat erinnerte und seltsam unnatürlich daherkam. Wie jede andere Form der visuellen Darstellung hat auch die Kriegsfotografie ihre visuellen Codes. An kaum einer anderen Stelle wird dies besser deutlich als beim World Press Photo Award, der jedes Jahr von einer privaten niederländischen Stiftung verliehen wird. In der Regel sind hier Bilder aus Krisen- und Kriegsregionen die Gewinner. Nähe, Dramatik und eine starke Farbigkeit lassen sich als zentrale Elemente ausmachen.

Die fotografische Darstellung von Konflikten und Kriegen ist eine besondere Form der Narration. Sie kann zwar Prinzipien der professionellen Recherche und der objektiven Darstellung folgen, bleibt jedoch immer auch ein subjektiver Akt. Vor allem seit den viel diskutierten und nicht unumstrittenen Reflexionen der US-amerikanischen Intellektuellen Susan Sontag (z.B. »Das Leiden anderer betrachten«) wird dies auch in der Öffentlichkeit breit thematisiert. Fragwürdig ist, dass viele Probleme, die am publizierten Bild gesehen werden, alleine am Fotografen festgemacht werden. Dabei ist die publizierte Pressefotografie ein Medienprodukt, das am Ende einer Kette der Bedeutungskonstruktion steht, in die eine Vielzahl von Akteuren vom Fotografen über Agenturen und Bildredakteure bis hin zur Zeitungsredaktion eingebunden sind. Oft weiß vor allem der Agenturfotograf nicht einmal, wo seine Bilder publiziert werden und es gibt in der Regel keinen Kontakt zwischen dem Fotografen und dem Bildredakteur. Während das Bild für den Fotografen immer ein visuelles Zeugnis seiner Erlebnisse und seiner Recherchen ist - im klassischen Sinne der Augenzeugenschaft -, so ist eine Fotografie für die Massenmedien auch ein Mittel zur Illustration. Damit sind Interessenskonflikte durchaus programmiert.

Einer dieser Konflikte dreht sich um die Frage, wo die Grenzen der Darstellbarkeit liegen. Allzu direkte Bilder von Opfern und Toten aus Krisenregionen werden von den Redaktionen in Europa und den USA in der Regel vermieden. Meist steht dahinter der Gedanke, man könne dies seinem Publikum nicht zumuten. Nicht nur bei Fotografen stößt dies auf Kritik. Den deutschen Fotografen Christoph Bangert veranlasste dies dazu, unter dem provokativen Titel »War Porn« (Kehrer Verlag) ein Buch zu veröffentlichen, in dem er Bilder zeigt, die der Selbstzensur sowie den Konventionen der Veröffentlichbarkeit zum Opfer fielen. Das Ergebnis ist ein Archiv der Grausamkeiten, vermutlich jedoch näher an der Kriegsrealität als das, was tagesaktuelle Medien dem Leser in der Regel zumuten.

Dass die fotografische Darstellung von Konflikten durchaus massenkompatibel sein kann, zeigte das Lumix Festival für jungen Fotojournalismus, das im Juni in Hannover stattfand. Auch wenn das Thema Krieg und Konflikt auf dem Festival nicht im Vordergrund stand, so war dies doch Gegenstand einer großen Zahl der gezeigten dokumentarfotografischen Arbeiten. Mehrere Zehntausend vor allem junge Besucher fanden den Weg auf das ehemalige Expo-Gelände in Hannover und ließen sich auch von der Bilderflut nicht abschrecken. Angesichts der vielfältigen Möglichkeiten, Bilder über das Internet zu konsumieren und der Allgegenwart von Bildern im öffentlichen Raum, ist dies erstaunlich. Aber vermutlich sind die haptische Erfahrung einer Fotoausstellung und die Faszination für das fotografische Erzählen von Geschichten Grund und Herausforderung genug. Genau dies sind die Qualitäten, die den professionellen Fotojournalismus bis heute auszeichnen und aus der Masse der Bilderflut herausheben, die uns die Digitalisierung der Fotografie und das Internet gebracht haben.

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