Ein Gespenst geht um in Europa ...
In seiner Reihe »Platon & Co.« schließt der Diaphanes-Verlag jungen Lesern die Welt der großen Philosophen auf
Zehn Jahre lang hatte der 2001 gegründete Diaphanes-Verlag mit einem erlesenen Programm vornehmlich aus den Bereichen Philosophie und Kunst, Kulturwissenschaft und Medientheorie ein achtbares Nischendasein geführt und Anerkennung etwa für seine Badiou-, Nancy-, Rancière- oder Agamben-Übersetzungen vor allem von einem überschaubaren Kreis Intellektueller erfahren. Da erschien - 2011, auf dem Höhepunkt der jüngsten Finanz- und Wirtschaftskrise - ein Buch des Literaturwissenschaftlers Joseph Vogl, das die Aufmerksamkeit der großen Feuilletons magisch auf sich zog und tatsächlich zu einem Bestseller wurde: »Das Gespenst des Kapitals«.
In seinem historisch und theoretisch fundierten und sprachlich geschliffenen Essay steigt der Autor gleichsam mit der Taschenlampe der Kulturwissenschaft hinab in die Untiefen jenes Kraters, in dem Adam Smith einst das Paradies des freien Marktes wähnte. Vogl aber leuchtet dort einem Dämon ins Antlitz, der selbst denen Furcht einflößt, die ihn füttern. Was die irrationalen Dynamiken der modernen Finanzökonomie so gespenstisch macht, analysierte Vogl, sei ihr Zugriff auf die Gegenwart aus einer Zeit heraus, die sich noch gar nicht zugetragen hat. An dieser Attacke der Zukunft auf die übrige Zeit sei das »Gespenst des Kapitals« zu erkennen.
Eines der jüngeren Bücher aus dem Hause Diaphanes knüpft an Vogls Thema und Titel an. Aber ansonsten hat »Das Gespenst des Karl Marx« so wenig mit dem theoriesatten Essay zu tun, dass man gar nicht glauben mag, dass es aus demselben Verlag kommt. »Das Gespenst des Karl Marx« ist ein Büchlein für Kinder, auf dessen Einband eine lustige Flattergestalt aus roten Rechtecken einen kantigen Kapitalisten erschreckt, dem der Zylinder vom Kopf und die Zahlen um die Ohren fliegen. Die Erzählung von Ronan de Calan, illustriert von Donatien Mary, ist einer von mittlerweile acht Bänden der Diaphanes-Rehe »Platon & Co. - Philosophie für junge Leser«. Die im Original auf Französisch erschienenen Bücher verschiedener Autoren und Zeichner sind jeweils nur gut 60 Seiten dick. Das ganze Leben und Denken der porträtierten Philosophen - neben Marx sind das Laotse, Sokrates und Diogenes, Erasmus und Descartes, Kant und Einstein - passt da natürlich nicht rein, und es würde Kinder auch schnell überfordern. Der Trick der Bücher besteht stattdessen darin, eine Anekdote um den Kern dessen zu erfinden, was den jeweiligen Menschen und seine Sicht der Welt ausmacht.
Erstaunlich, weil gar nicht selbstverständlich, ist dabei das Bekenntnis einiger Autoren und Zeichner zu ihrem Gegenstand. Im Marx-Band etwa, der die Geburt des »Gespensts« aus dem grausamen Schicksal der schlesischen Bauern ableitet, die in die Städte ziehen und Weber werden und darben mussten, lässt Ronan de Calan sein Marx-Gespenst am Ende, nämlich bevor es sich aufmacht zur Wall Street von heute, sagen: »Darin besteht meine Methode: Wiederkehren und die Welt heimsuchen, um sie auf meine Seite zu ziehen und für meine radikalen Lösungen zu gewinnen!« Ein »Gespenst«, würde Joseph Vogl analysieren, schickt sich an, das andere zum Teufel zu jagen.
Wie ein Bildungsroman en miniature ist das Buch »Diogenes oder Der Mensch als Hund« von Yan Marchand (Text) und Vincent Sorel (Illustration) aufgebaut. Der junge Grieche Androsthenes wird darin von seinem reichen Vater nach Athen geschickt, um in die Schule des berühmten Platon zu gehen. Dessen geometrischer Weisheiten aber ist er bald überdrüssig, fasziniert stattdessen vom verwahrlosten Diogenes, der ihn lehrt, im Verzicht auf weltlichen Ballast das wahrlich lebenswerte Leben zu entdecken. Erzählt und gezeichnet ist das voller Empathie für »diesen Menschen, der zum Tier geworden ist, dieses Tier, das zum Gott geworden ist, diesen Menschen, der zum Menschen geworden ist«.
Die Zeichnungen, hier wie in den anderen Bänden, sind gegenständlich genug, um aufgeweckten Zehnjährigen das Erzählte zu veranschaulichen. Gleichzeitig abstrahieren sie es in einem Maße, dass sie auch kunstsinnigen Erwachsenen ästhetisches Vergnügen bereiten.
Ronan de Calan, Donatien Mary: Das Gespenst des Karl Marx. Yan Marchand, Vincent Sorel: Diogenes oder Der Mensch als Hund. Beide aus dem Französischen übertragen von Heinz Jatho. Diaphanes, je 64 S., geb., je 14,95 €. Weitere Titel unter www.diaphanes.de
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