Die Lust, spielerisch mit den Dingen umzugehen
Keramische Objekte von Judith Püschel, Antje Scharfe und Karl Fulle im Schloss Köpenick
Ton an sich ist eine gestaltlose Masse. Formen, von denen wir annehmen, sie seien typisch keramisch, entstehen eher aus Verarbeitungstraditionen als durch Bedingungen des Materials. Kein anderer Rohstoff ordnet sich scheinbar so leicht dem künstlerischen Ausdruckswillen unter, selbst die Imitation anderer Materialien ist ohne Weiteres möglich. Daraus resultiert eine weitreichende Spannweite an Gestaltungsmöglichkeiten, Verarbeitungsweisen und Ausdrucksformen, die Keramiker sehr wohl zu nutzen wissen. Keramik bedeutet ja nicht nur Gefäß, sondern auch dekoratives und raumgreifendes Objekt, Plastik, Montage, Architekturgestaltung, spannungsvolle Kombination mit anderen Materialien und vieles andere mehr.
Ihre diesjährige Sommerausstellung widmet das Kunstgewerbemuseum Schloss Köpenick drei Keramikkünstlern, die bereits international Anerkennung erfahren haben: Judith Püschel, Antje Scharfe und Karl Fulle. Alle drei haben an der heutigen Kunsthochschule Burg Giebichenstein in Halle (Saale) bei Gertrud Möhwald und Martin Wetzel studiert, gründeten dann ihre eigene Werkstatt (J. Püschel in Berlin-Friedrichshagen. A. Scharfe in Zepernick, K. Fulle in Rheinsberg) und beschritten den Weg ihrer Lehrerin Gertrud Möhwald vom traditionellen Gefäß über die Gefäßplastik zur funktionslosen Plastik weiter. Sie sind dann auch selbst Lehrende an der »Burg« bzw. anderen Kunstschulen geworden. Die Lust, spielerisch mit den Dingen umzugehen, die unkonventionelle, findige Handhabung und Formung, das Experiment, das manchmal wichtiger ist als das Resultat, die Farbigkeit des Tons reizen sie ebenso wie die Synthese von Geschautem, das Sichtbarmachen von Unsichtbarem oder bisher Ungesehenem. Und dennoch besitzt jeder seine eigene, unverwechselbare Handschrift.
Unerschöpflich scheint das Formenrepertoire Judith Püschels zu sein. Ihre Arbeiten beruhen auf dem Collageprinzip, sie fügt gefundene Materialien aus unterschiedlichen Wirklichkeitsbereichen zusammen und hinterfragt ihre Gebilde durch ironische Titel. Eine Nähmaschine, ein Kaffeeautomat, täuschend ähnlich aus Ton und mit viel technischem Geschick hergestellt - sind sie nur als Illusionsobjekte und als Persiflagen auf den Illusionismus und Naturalismus in der Kunst schlechthin zu verstehen? Das Keramik-Moped, dem auch Fahrradteile und andere Materialien hinzugefügt wurden, hat sie »Herzschrittmacher« genannt. Die Nachbildung eines Gebrauchsgegenstandes aus einem anderen Material - eben Ton - lässt den Gegenstand funktionslos werden, bringt ihn in einen neuen inhaltlichen Zusammenhang. Eine Sinnverkehrung parallel zum Gegenstand findet statt.
Surrealistisches, Alogisches, Skurriles, Burleskes und Groteskes werden dargestellt - sie tragen den Widerspruch in sich: Alltagsobjekte mit kitschigen Glitzersteinen drapiert, poppig-bunte, gemusterte Geweihe in eigenwilligen Formbildungen, ein goldiger Schmuckstrauß mit Eberkeilen bestückt, ein zur Absurdität seiner selbst gewordener Revolver … Durch lose zusammengefügte Additionselemente soll der Betrachter zur Veränderung des Arrangements angeregt und zur aktiven Beteiligung am Kunstgeschehen aufgefordert werden.
Das Besondere der Werke von Antje Scharfe ist das intensive Eingehen auf das Material, dessen Strukturen und Bedingtheiten sie in vielfacher Weise sowohl hervorhebt als auch provoziert. Zunächst entstehen von stereometrischen Körpern bestimmte Objekte aus schamottierten farbigen Tonen: Pyramiden, Würfel, Rhomben, Quader, aber auch Stelen, Reliefs und Wandplatten. Sie lassen neben vielfältiger differenzierter keramischer Gestaltung der Oberflächen einen ausgesprochenen Sinn für deren grafische Gestaltung und große Freude am Fabulieren erkennen (»Kultvase«, 2013).
Die Künstlerin hat dann auch andere Materialien in ihr Schaffen einbezogen, wie Papier, eine von ihr entwickelte, sehr transparente Knochenporzellanmasse, Stearin, Metallstäbe, Perlonfäden, auch Fundstücke aus der Natur und alten, untergegangenen oder primitiven Kulturen. Die raumverdrängende Körperlichkeit wandelt sich bis zur Zweidimensionalität, bei der die grafische Oberflächenbehandlung eine dementsprechend wichtige Stellung erhält, oder aber in eine raumbestimmende Staffelung einzelner Flächen, die durch die Transparenz des Knochenporzellans ganz eigene Wirkungen entstehen lässt. Silhouettengebilde in Leuchtkästen mit Milchglasscheiben regen die Imagination des Betrachters an. Faszinierend ist bei Antje Scharfe die ständige Auseinandersetzung, die Zwiesprache mit den verschiedenen Materialien, das Erproben von deren Aussagemöglichkeiten.
Karl Fulle stellt scharf geschnittene Vasen- und Kannenformen vor, Kasten, Teller aus Porzellan, glasiert, Irdenware, Steinzeug und Steingut. Der künstlerische Prozess besteht bei ihm in der Wahl einer Vorlage, die zu einer Veränderung und damit zur Integration in den Kunstbereich anregt. Das schließt auch die Rolle des Zufalls mit ein. Bruchteile von Drehformen setzt er, in verschiedene Richtungen strebend, in- und übereinander wieder zusammen, so dass die Plastik riskante Bewegung simuliert. So entstehen scheinbar instabile, aber dennoch in sich ruhende Objekte mit fragmentarischen Andeutungen an die Menschengestalt (»Sirene I / II«, 1991). Das Prozesshafte der Auseinandersetzung mit der räumlich-farblichen Problematik und der Materialhaftigkeit soll sich in gegenüberstehenden Kontrasten abspielen.
Glasuren lassen seine Werkgruppen der Wellen-, Wogen- und Muschelformen in perlmuttschimmernden Blautönen, seine Blütengefäße und floralen Objekte farbintensiv und rhythmisch-plastisch - in barocker Formgebung - erstrahlen (»Florales Gefäß«, 2013). In ihrer unterschiedlichen Oberflächenbehandlung scheinen sie Gemütsstimmungen, seelische Empfindungen wiederzugeben.
Kunst - Form - Ton. Zeitgenössische keramische Arbeiten von Judith Püschel, Antje Scharfe und Karl Fulle. Kunstgewerbemuseum der Staatlichen Museen zu Berlin, Schloss Köpenick, Di-So 11-18 Uhr, bis 28. September. Faltblatt
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