Brüssel und Moskau wetteifern um Serbien
Regierung in Belgrad sucht nach dem Mittelweg zwischen EU-Annäherung und Entwicklung der Beziehungen zu Russland
Gerade erst war Serbiens Regierungschef Aleksandar Vučić aus Moskau zurückgekehrt, wo er die engen Beziehungen seines Landes zu Russland noch einmal bekräftigt hatte. Da äußerte der Chef der Europäischen Delegation in Serbien, Michael Davenport, erneut die gegenteiligen Erwartungen der EU.
Bis jetzt hat Belgrad dem Druck widerstanden, sich den Sanktionen der EU gegen Moskau anzuschließen. Dabei hat die Ukrainekrise Serbien von Anfang an in eine unangenehme Situation gebracht, wie Vučić schon vor Wochen einräumte. Einerseits sieht seine Regierung den raschen Beitritt des Landes zur EU als Priorität an. Anderseits pflegt Serbien seit Langem intensive Beziehungen mit Russland, die - so Vučić - »auf moralischen, traditionellen und starken wirtschaftlichen Verbindungen basieren«. Er bekannte öffentlich, dass der Westen auch von Belgrad verlangt habe, sich Sanktionen gegen Russland anzuschließen. Die serbische Politik schätze die Eurointegration, sagte er, habe aber auch »Respekt gegenüber Freunden, die uns nicht zerbombt und keine Sanktionen gegen uns ergriffen haben«. Damit spielte er auf die NATO-Luftangriffe gegen Serbien im Laufe des Kosovo-Krieges 1999 an. Außenminister Ivica Dačić bestätigte, dass »Serbien sich nie zu irgendwelchen Sanktionen gegen Russland entschließen« werde.
Tatsächlich ist es dem Balkanstaat bisher gelungen, eine neutrale Haltung zu wahren. Die EU hatte auch nicht besonders stark insistiert. Nachdem er in Juni in Berlin mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und Außenminister Frank-Walter Steinmeier zusammengetroffen war, sagte Vučić, dass er zwar keine »absolute Zustimmung«, wohl aber »Verständnis« für die Position Serbiens gefunden habe.
Die Wahrheit ist, dass Russland und der Westen um Serbien wetteifern. Hochrangige Politiker der EU und Russlands geben in Belgrad einander die Klinke in die Hand. Im Mai war zum Beispiel Dumapräsident Sergej Naryshkin zu Gast, der auf der schwarzen Liste der EU steht. Ein paar Wochen später äußerte Russlands Außenminister Sergej Lawrow in Belgrad seinen Respekt für die Haltung Serbiens. Nur einen Tag zuvor hatte US-Vizepräsident Joe Biden in einer Botschaft an Vučić gefordert, mit seinen europäischen Partnern »in der Unterstützung der internationalen Prinzipien zusammenzustehen«. Und auch EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso mahnte, Serbien solle seine Politik allmählich mit derjenigen der EU harmonisieren.
Russische Handlungen haben Serbien zusätzliche Schwierigkeiten bereitet. Moskau war bisher stärkster Unterstützer Serbiens in seiner Gegnerschaft zur Unabhängigkeit Kosovos. Stets hatte Belgrad das Prinzip der territorialen Integrität betont und sich darüber empört, dass der Westen diesen Grundsatz verletzt. Unmöglich kann Serbien daher den Anschluss der Krim an Russland anerkennen - und bis jetzt war der Westen damit zufrieden. Doch der Druck wird wachsen und irgendwann wird sich Belgrad wohl entscheiden müssen. Wenn man sich den EU-Sanktionen gegen Russland anschließt, wird Russland das nicht tatenlos hinnehmen. Und Moskau hat großen wirtschaftlichen Einfluss: Das serbische Ölunternehmen befindet sich mehrheitlich im Besitz von Gazprom. Der Gaspreis, serbische Verbindlichkeiten für unbezahlte Lieferungen und der gerade unterzeichnete 2,1-Milliarden-Euro-Vertrag über die Gaspipeline »South Stream« sind weitere Druckmittel. Dazu sind große Teile der serbischen Öffentlichkeit, viele Medien und besonders die orthodoxe Kirche betont prorussisch. Wenn Belgrad sich auf die Seite des Westens schlagen sollte, könnte das zu Rissen in der Gesellschaft führen.
Die Regierung glaubt indes nach den Worten von Jadranka Joksimović, Ministerin für EU-Integration, dass es noch Raum für Manöver gibt. Schließlich bestehe in der EU selbst keine einheitliche Auffassung zu neuen Sanktionen gegen Russland, und bis zur Aufnahme Serbiens in die Union werden noch Jahre vergehen. Dennoch verwundert es nicht, dass Vučić - unter doppeltem Druck - eine rasche Lösung in Sachen Ukraine wünscht, weil dies das Beste auch für Serbien wäre.
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