Auch Nazis haben ein Recht auf Vergessen
Google will nd-Artikel über rechtsextremen Onlinemoderator nicht mehr in seiner Trefferliste führen
Marian Rohde war wohl das, was man einen engagierten Bürger nennt. Der junge Mann arbeitete als Pfleger in der Psychiatrie und engagierte sich als Deeskalationstrainer. Rohde ist zudem Ko-Autor des Buches »Kommunikative Deeskalation«, das man noch heute beim Onlinehändler Amazon bestellen kann. Alles schien in Ordnung - bis die Freiburger Antifa den netten Pfleger im Juni 2012 als Moderator des rechtsextremen Internetforums Thiazi entlarvte. Unter dem Pseudonym »Krafft« war Rohde dort einer der Chefs. Thiazi betreute die 25 000 angemeldeten Nutzer. In einem nd-Artikel zu Rohde und dem Netzwerk heißt es, dass dort »offen zu Gewalt und Rassenhass aufgerufen wurde« und sich »Nazis vernetzten und organisierten«.
Bislang konnte jeder Interessierte Marian Rohde und sein schmutziges Geheimnis nachgoogeln. Doch das wird nun schwieriger. In einer knappen Mail informierte der Konzern den Webseitenbetreiber des »nd«, dass man den Artikel »Krafft nun ohne Freunde« aus dem Suchindex genommen habe.
Möglich wurde das durch ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) vom Mai 2014. Die Richter hatten entschieden, dass es auch im Netz ein »Recht auf Vergessen« gibt. Demnach können Suchmaschinenbetreiber gezwungen werden, »personenbezogene Daten aus dem Index zu entfernen und den Zugang zu diesen Daten in Zukunft zu verhindern«. Die Luxemburger Richter beriefen sich bei ihrer Entscheidung auf den EU-Datenschutz. Allerdings hatten sie es mit einem vergleichsweise harmlosen Fall zu tun. Geklagt hatte ein Spanier, weil bei Eingabe seines Namens immer noch ein Artikel über die Zwangsversteigerung seines Hauses vor 15 Jahren auftauchte.
Doch nun machen auch Rechtsradikale von diesem Recht Gebrauch. Etwa gegenüber der »taz«. Ein Beitrag der Zeitung über die Verquickungen von NPD, Burschenschaften und rechtsextremer Szene soll nicht mehr in der Trefferliste von Google auftauchen. »Eine der Personen, die darin namentlich genannt werden, hat bei Google beantragt, dass der Link nicht mehr erscheint, wenn man ihren Namen googelt«, so die »taz«.
Demnächst könnte so eine ganze Menge von Artikeln aus den Trefferlisten verschwinden. Allein in Deutschland liegen rund 12 000 Anträge auf Vergessen vor. Insgesamt seien es bislang 70 000 Anfragen für 250 000 Webseiten gewesen, so der Konzern.
In einem Gastbeitrag für die »Frankfurter Allgemeine« hatte Googles Chefjustiziar David Drummond vor Kurzem die Gründung eines »Lösch-Beirates« angekündigt. Dem Gremium sollen Experten »aus Wissenschaft, Medien, Datenschutz, Zivilgesellschaft und Technologie« angehören. Darunter auch die ehemalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP). Allerdings soll der Beirat erst im Herbst tagen. Zudem wird sich das Gremium nicht um jeden Einzelfall kümmern können. Stattdessen gibt es laut Drummond ein Team, das jeden einzelnen Antrag prüft, »meistens mit begrenzten Informationen und fast ohne Kontext«, so der Justiziar.
Erstaunlich ist, dass der US-Konzern das EuGH-Urteil bereits umsetzt, obwohl es weder ein deutsches Gesetz noch eine entsprechende EU-Richtlinie gibt. Über die Ausgestaltung einer solchen Regelung wollen die EU-Datenschützer am heutigen Donnerstag mit den Suchmaschinenbetreibern Google, Yahoo und Microsoft in Brüssel diskutieren.
Die auf Medienrecht spezialisierte Anwaltskanzlei Bezzenberger hat eine Erklärung für Googles vorauseilenden Gehorsam: »Möglicherweise«, heißt es auf der Webseite, werde tendenziell auf Aufforderung hin gelöscht, »um kostenpflichtige Rechtsstreitigkeiten zu umgehen«.
Aber so schnell vergisst das Netz eben doch nicht. So hat der US-amerikanische Entwickler Afaq Tariq nun die Webseite »Hiddenfromgoogle« (Versteckt vor Google) ins Leben gerufen. Dort sollen die gelöschten Links dokumentiert werden. Auch der taz-Artikel ist dort bereits zu finden.
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