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Tausch mit Tücken

Für die Menschen im Amt Neuhaus an der Elbe bildet der Fluss noch immer eine Grenze

  • Iris Leitholt, Amt Neuhaus
  • Lesedauer: 4 Min.
Sie zogen in den Westen, ohne ihre Häuser zu verlassen: Rund 6000 Menschen in einem Landstreifen am mecklenburgischen Elbufer wechselten nach der Wende nach Niedersachsen. Sind sie angekommen?

Ein Lastwagen rumpelt auf die Fähre, dahinter fahren einige Autos. Ein Ehepaar schiebt seine Fahrräder über die Rampe. Da kommt ein Wagen die Straße vom Deich heruntergedüst - doch zu spät, der Schlagbaum senkt sich. Der Fahrer muss warten, bis die Motorfähre »Tanja« über die Elbe gesetzt hat und wieder zurückkommt. Da hilft kein Fluchen, es dauert seine zehn Minuten.

Die Fähre verbindet das Land Niedersachsen mit seinem Gebiet auf dem mecklenburgischen Ufer der Elbe, dem Amt Neuhaus. Ein Dutzend Dörfer und Weiler sind über den 30 Kilometer langen und im Schnitt zehn Kilometer breiten Landstreifen verstreut, der zum Landkreis Lüneburg gehört. Gut 4800 Menschen wohnen heute dort.

Die »Tanja« verkehrt zwischen Neu Darchau (Westen) und Darchau (Osten). Eine zweite Fähre gibt es zwischen Bleckede (Westen) und Neu Bleckede (Osten). Bürgermeisterin Grit Richter (parteilos) ist die Gefühlslage des zurückgebliebenen Autofahrers vertraut. Muss sie ins Landratsamt nach Lüneburg, was mehrmals wöchentlich der Fall ist, baut sie eine halbe Stunde Puffer ein. »Ich will ja nicht zu spät kommen«, sagt sie.

Wie ihr geht es dem Neuhäuser Friseur, der eine Niederlassung auf der Westseite des Flusses hat, und vielen Berufspendlern. Wer den Abend in Lüneburg verbringt, muss immer die Uhr im Blick behalten, denn um 23 Uhr geht die letzte Fähre von Bleckede. Die »Tanja« macht sogar schon um 21 Uhr Schluss.

Die Neuhäuser warten seit einem Vierteljahrhundert auf eine Brücke. Bei Eisgang, Niedrig- und Hochwasser stellen die Fähren ihren Betrieb ein. Gewartet werden müssen sie auch regelmäßig. Dann bleibt nur, 33 Kilometer zur nächsten Brücke in Dömitz (flussaufwärts) oder 37 Kilometer nach Lauenburg (flussabwärts) zu fahren.

Die Neuhäuser wollten nach der Wende unbedingt nach Niedersachsen. Es war eine Rückkehr für die Ortschaften am östlichen Elbufer, denn sie gehörten bereits von 1689 bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs zu Lüneburg. Die Alliierten ordneten 1945 den sogenannten Neuhäuser Streifen jedoch der sowjetischen Besatzungszone zu.

Gleich nach der Wende machten sich die Einwohner für den Wechsel stark. Im März 1993 wurde ein Staatsvertrag zwischen Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen geschlossen. Am 29. Juni 1993 tauschten die beiden damaligen Ministerpräsidenten die Ratifizierungsurkunden aus - und vom nächsten Tag an waren die Neuhäuser Niedersachsen. Ihnen wurde der Bau einer Brücke in das Bundesland versprochen, zu dem sie nun gehörten. Verwirklicht wurde der Plan bis jetzt aber nicht - auch deshalb ist das Amt Neuhaus ein Zwitter geblieben. Man liest dort hauptsächlich die »Schweriner Volkszeitung«. Die liegt morgens im Briefkasten, während die »Landeszeitung« aus Lüneburg erst mittags mit der Post kommt. Ein mecklenburgischer Busbetrieb bedient das Amtsgebiet. Viele Kinder besuchen die Gymnasien in Dömitz und Boizenburg in Mecklenburg statt im eigentlich zuständigen niedersächsischen Bleckede. »Der Schulweg mit der Fähre ist einfach zu umständlich«, sagt Bürgermeisterin Richter. Dennoch betont sie: »Wir sind Niedersachsen und wollen es auch bleiben.«

Viel schöner wäre es mit der Brücke. Im Januar 2013 tat sich etwas: Bei einer Bürgerbefragung im Landkreis Lüneburg sprach sich eine Mehrheit für den Bau aus. Viele wollen die Brücke zwischen Darchau und Neu Darchau aber nur, wenn der Landkreis nicht mehr als zehn Millionen Euro bezahlen muss. Die Gesamtkosten wurden damals auf 45 Millionen Euro geschätzt. Was hat sich seither getan? »Wir sind in Wartestellung«, sagt Richter.

Die Sprecherin des Landkreises Lüneburg, Katrin Holzmann, berichtet, dass bei den gegenwärtig laufenden Planungen für einen Deich in Neu Darchau die Trasse für eine Brücke berücksichtigt werde. Mit dem niedersächsischen Landesbetrieb für Wasser, Küsten und Naturschutz soll eng zusammengearbeitet werden. Einen Zeit- oder aktuellen Kostenplan kann sie aber nicht nennen.

Richter gibt die Hoffnung nicht auf, doch Klarheit ist ihr und - da ist sich die Bürgermeisterin sicher - den meisten im Amt Neuhaus wichtiger. »Es wäre ehrlich von den Verantwortlichen, irgendwann den Menschen hier im Amt Neuhaus mal zu sagen, die Brücke kommt oder sie kommt nicht.« Und wenn sie nicht käme? »Dann müsste gemeinsam überlegt werden, wie wir es schaffen, dass das Leben für die Menschen im Amt Neuhaus ebenso lebenswert ist wie im übrigen Landkreis.« Denkbar wäre zum Beispiel, dass die Einwohner des Amtes für die beiden Fähren nichts zahlen müssen und der Verkehr rund um die Uhr sichergestellt wird. Derzeit kostet die Monatskarte für ein Pendlerauto 40 Euro. dpa/nd

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