Der Krieg ist nach Libyen zurückgekehrt

Die schweren Kämpfe zwischen Milizenallianzen in mehreren Stadtteilen von Tripolis gehen in die dritte Woche

  • Mirco Keilberth, Tripolis
  • Lesedauer: 3 Min.
Über 80 Tote, 400 Verletzte und ein verwüsteter Flughafen - bei den Artilleriegefechten am Airport brennt seit Dienstag zudem ein zweiter riesiger Benzintank.

Giftige schwarze Rauchsäulen am Himmel und Radiodurchsagen über eine bevorstehende gigantische Explosion vertreiben derzeit Tausende Familien aus ihren Häusern. »Es ist schlimmer als 2011«, sagt Mohamed Burki, ein Geschäftsmann aus dem Stadtteil Suk Al-Juma. Nur der mutige Einsatz freiwilliger Einsatzkräfte wie Ali Alfitori verhinderte bisher eine größere Katastrophe. Der Ingenieur der libyschen Gesellschaft Brega Oil schloss mitten im Flammeninferno die Ventile zu benachbarten Öltanks, deren Explosion womöglich einen ganzen Stadtteil verwüstet hätte.

Nachdem sich die Feuerwehrleute zurückziehen mussten, kündigte die italienische Regierung auf ein verzweifeltes Hilfeersuchen des libyschen Premiers an, sieben Löschflugzeuge nach Tripolis zu schicken.

Doch die Miliz des ehemaligen Kongressabgeordneten Saleh Badi, scheint fest entschlossen zu sein, sämtliche Infrastruktur unter der Kontrolle ihrer Gegner zu zerstören. »Tripolis ist Opfer eines Kampfes um Einfluss, Geld und damit Macht«, sagte der Geschäftsmann Burki entnervt, stellvertretend für viele.

Am wichtigsten islamischen Feiertag im Jahr, dem Eid Bairam am Montag, fielen die sonst üblichen Familienbesuche in der Hauptstadt meist aus. Kilometerlange Warteschlangen vor den wenigen geöffneten Tankstellen, Strom und Telefonnetzausfälle zehren an den Nerven der Bürger.

Vermittlungsversuche von Stammesältesten zwischen den Islamisten aus der Rebellenhochburg Misrata und den sogenannten Zintan-Milizen scheiterten. Misrata kontrolliert den kleineren Militärflughafen von Tripolis und will Zintan unter allen Umständen vom internationalen Flughafen vertreiben. Beide Seiten importierten in den vergangenen Monaten Waffen in großer Zahl.

Nun fürchtet man, dass eine weitere Gruppierung von dem in Libyen entstandenen Sicherheitsvakuum profitieren könnte: IS, der so genannte »Islamische Staat« in Irak und Syrien. Viele IS-Kommandeure kommen aus Libyen. Sie zogen Anfang 2012 mit Kampferfahrung und Waffen über die Türkei in den Krieg gegen Syriens Präsidenten Baschar al-Assad. Es heißt, mehr als 2000 Libyer kämpften derzeit in Syrien.

Die Selbstmordattentate auf die Saika in Bengasi gehen angeblich auch auf ihr Konto. In der von Dschihadisten kontrollierten Stadt Derna wurden am Wochenende erstmals zwei jugendliche »Verbrecher« nach dem Urteil eines islamischen Schura-Gerichtes enthauptet. »Falls der IS nach Teilen Iraks und Syriens auch aus Libyens ein Kalifat machen will, dies wäre der beste Zeitpunkt«, sagte ein hochrangiger Offizier des libyschen Verteidigungsministeriums. Dort herrscht ein Machtkampf zwischen den langjährigen Soldaten aus der Gaddafi-Zeit und den vom Nationalkongress eingesetzten Islamisten.

Khaled Sharif ist als Vizeverteidigungsminister zuständig für die Integration der Milizen in die Armee. Über den Schreibtisch des Afghanistanveteranen gehen aber auch die Soldbescheide der libyschen Armee. Fast alle islamistischen Milizen werden von der Regierung bezahlt - obwohl sie den Staat bekämpfen.

Gerade hat Sharif einem Dutzend ehemaliger Kampfgefährten aus Afghanistan Posten im Ministerium verschafft. Dessen Sitz an der Flughafenstraße haben er und seine Leute aber schon vor Wochen verlassen. Dort tobt jetzt der Kampf um die Macht in Tripolis. In seinem neuen Kommandoposten nahe der Schweizer Botschaft versichert der Mann freundlich: »Der Aufbau von Armee und Polizei ist meine erste Priorität.« Er möchte bestimmte ausländische Botschafter beruhigen, die sich trotz seiner islamistischen Vergangenheit gerne mit ihm trafen - wohl auch, um Rüstungsgüter in Libyen an den Mann zu bringen.

Nach den Kämpfen in Tripolis und Bengasi scheint eine gemeinsame libysche Armee in weite Ferne gerückt zu sein. Die Stämme in der östlichen Provinz Cyrenaika haben zusammen mit Offizieren beschlossen, einen eigenen Militärrat zu gründen, der als Keimzelle der neuen libyschen Armee dienen soll.

Der 60-jährige Ali Takbali ist im Bezirk Tripolis-Mitte in das neue Repräsentantenhaus gewählt worden. »Nach ihrem herben Verlust bei den Wahlen vom 25. Juni wollen die Islamisten den demokratischen Übergangsprozess zerstören«, glaubt er. Als ersten Schritt wolle das Repräsentantenhaus daher alle illegalen Milizen verbieten und deren Bezahlung einstellen. Das ist wohl der Grund, warum Badi und seine Islamistenallianz diesen Krieg führen, vermutet Takbali.

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