»Es nimmt einem den Atem ...«
Der Warschauer Aufstand vor 70 Jahren.
Es war der verzweifelte Versuch der polnischen Untergrundarmee, der Heimatarmee (Armia Krajowa), die Hauptstadt Warschau aus eigener Kraft zu befreien, um dann die heranrückende Rote Armee als Hausherr zu empfangen. Die polnische Exilregierung in London unter Stanisław Mikołajczyk hoffte zudem, derart das von Kommunisten dominierte Komitee auszuschalten, das am 22. Juli 1944 im bereits befreiten Lublin gegründet worden war und mit dem Aufbau einer Selbstverwaltung in Polen begann.
Seit dem 21. Juli 1944 liefen in der polnischen Hauptstadt die Vorbereitungen für den Aufstand. Das Attentat auf Hitler am Tag zuvor war von der Führung der Heimatarmee als ein Zeichen des nahenden Zusammenbruchs Nazideutschlands gewertet worden. Bisher war die Heimatarmee im Partisanenkampf durchaus erfolgreich gewesen. Doch nun stand vor den Kämpfern eine Aufgabe, auf die sie nicht vorbereitet waren - ein frontaler Angriff auf die Deutschen.
Der Oberbefehl der Heimatarmee für Polen lag in den Händen von Tadeusz Komorowski-Bór, dessen entfernter Verwandter heute Staatspräsident Polens ist: Bronisław Komorowski. Ende Juli 1944 hatten die faschistischen Okkupanten mit der Evakuierung ihrer Behörden und militärischen Depots in Warschau begonnen. Doch dann kam der Befehl, die Weichsellinie zu halten.
Der Aufstand am 1. August begann zunächst hoffnungsvoll. »Es nimmt einem den Atem, dass man endlich frei ist«, schrieb der damals 22-jährige Władysław Bartoszewski, der spätere polnische Außenminister. »Frauen brachten Essen für die Soldaten, Männer bauten Barrikaden und Stützpunkte, auf vielen Gebäuden wurde die weiß-rote Nationalfahne gehisst.« Doch trotz der Unterstützung der Bevölkerung gelang es den Aufständischen nicht, Warschau zu befreien, nicht eine der Weichselbrücken konnten sie besetzen. Besonders heftig umkämpft war die Altstadt Warschaus. Als Rückzugsgebiete dienten den Kämpfern unterirdische Kanäle; über das dramatische Geschehen unter der Erde drehte 1956 Andrzej Wajda einen Spielfilm (»Der Kanal«).
Die Deutschen gingen mit äußerster Brutalität zum Gegenangriff über. Es fanden Massenerschießungen von Zivilisten ungeachtet von Geschlecht und Alter statt. 40 000 sollen allein in den ersten Tagen massakriert worden sein. Die Täter sind bekannt. Einer von ihnen, Heinz Reinefarth, Generalleutnant der Waffen-SS und der Polizei, Rechtsanwalt aus Cottbus. Er musste sich nach 1945 nicht für seine Taten verantworten und war sogar zehn Jahre Bürgermeister von Westerland/Sylt und Landtagsabgeordneter.
Während in Warschau der Aufstand tobte, hoffte in London Ministerpräsident Mikołajczyk auf eine Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen seiner Exilregierung und der UdSSR. Die 1943 in Katyń entdeckten Massengräber von polnischen Offizieren hatten zum Bruch geführt. Stalin ordnete in einer Direktive im Juli 1944 die Entwaffnung der Heimatarmee im Osten Polens an, was später auf ganz Polen ausgedehnt wurde. Mikołajczyk glaubte nun, durch den Aufstand in Warschau gegenüber den Kremlherrn einen Verhandlungsvorteil erzielt zu haben. Doch das erwies sich als Illusion. Stalin bestand auf der Anerkennung des Lubliner Komitees durch die Londoner Exilregierung. Als Mikołaczyk sich kompromissbereit zeigte, versprach Stalin Hilfe für den Warschauer Aufstand. Doch dabei blieb es vorerst.
Die abwartende Haltung der Roten Armee, die sich bereits östlich der Stadt befand, ist in der Geschichtsschreibung nach wie vor umstritten. Ein Versuch, dem kämpfenden Warschau zu Hilfe zu eilen, wurde von der 1. Polnischen Armee, die an der Seite der Roten Armee kämpfte, unternommen, scheiterte jedoch. Der Führung der Heimatarmee wurde klar: Ohne Hilfe von außen ist der Aufstand verloren. Den Westalliierten indes galt Warschau als sowjetisches Operationsgebiet. Die USA und Großbritannien brauchten die Sowjetunion, um Hitler endgültig zu schlagen. Erst am 9. September 1944 griff die sowjetische Luftwaffe ein. Gleichzeitig besetzte Armeegeneral Rokossowski mit seinen Truppen den östlichen Stadtteil Warschaus, das am linken Weichselufer gelegene Praga. Russen und aufständische Polen waren damit nur noch durch die Weichsel getrennt. Bis zum 10. September blieb es den US-Amerikanern nicht gestattet, auf sowjetischen Militärflugplätzen zu landen. Letztendlich gab es nur einen einzigen Hilfsflug der US-Air Force, doch nur zwanzig Prozent der Container mit Waffen gelangten in die Hände der Aufständischen. Verlustreich waren auch die Versuche der Royal Air Force, Warschau von Italien aus anzufliegen.
Hitler gab nach der Niederschlagung des Aufstands am 2. Oktober den Befehl, Warschau in Schutt und Asche zu legen. Der größte Teil der überlebenden Bevölkerung wurde vertrieben, etwa 500 000 Menschen. Zirka 60 000 Polen wurden zur Zwangsarbeit nach Deutschland deportiert. Als die Rote Armee am 17. Januar 1945 Warschau befreite, war die Stadt weitgehend entvölkert.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.