Die Kräfte des Lebens und der Natur

Im sächsischen Lohmen ausgestellt: Holzschnitte und Lithografien des ungarischen Künstlers Ernö Kunt

  • Gert Claußnitzer
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Künstler Ernö Kunt war eine der eigenartigsten Erscheinungen in der ungarischen Moderne. Er lebte etwas abgeschieden von der Kunstmetropole Budapest im Industriezentrum Miskolc, zu Füßen des Bükkgebirges im Norden des Landes. Das war für ihn ein ungeheurer Vorteil, und mit wahrer Besessenheit konnte er hier im Abseits an der Vervollkommnung seines vielfältigen Werks arbeiten, ohne jede Rücksichtnahme auf den Zeitgeschmack und ohne sich irgendwelchen deprimierenden Forderungen beugen zu müssen. Insofern stand er gegen die Dogmen einer tonangebenden nationalen Schule, die keine freie Entwicklung zuließ und der schöpferischen Entfaltung entgegenwirkte. Mithin war Kunt auch kein Vertreter eines ungarischen Nationalismus, der seiner Meinung nach nur in eine dörfliche Rückständigkeit führen würde. Dafür liebte er aber Bilder, die in einfacher Weise eine Aussage über die Kräfte des Lebens und der Natur vermittelten. Er fand sie bei den Naturvölkern und im Expressionismus.

Ernst Ludwig Kirchner war für Kunt gleichsam eine Offenbarung. Auch sein eigenes Werk stand gewissermaßen im Zeichen der expressionistischen Formzertrümmerung, was ihm in Ungarn nicht immer freundliche Zustimmung einbrachte. Die deutschen Ausdruckskünstler, die er so liebte, mit ihren ins Orgiastische aktivierten Farben und Formen! Auch Kunt hat so gemalt, lithographiert, ins Holz geschnitten, ungestüm und spontan. Am schönsten bestätigen das wohl seine Farbholzschnitte, die eine ähnliche Stilform aufweisen wie die Arbeiten des großen deutschen Holzschneiders HAP Grieshaber von der Achalm auf der Schwäbischen Alb. Nicht ohne Grund wurde er hin und wieder der »ungarische Grieshaber« genannt.

Wie sehr Ernö Kunt mit den großen kulturellen Strömungen in Europa verbunden war, belegt aufs Schönste jetzt eine kleine Ausstellung im Seminarraum der Bastei-Apotheke im sächsischen Lohmen. Zweifellos befand Kunt sich in Übereinstimmung mit den fortschrittlichsten zeitgenössischen europäischen Bestrebungen, wie zu sehen ist. Bezeichnend für Kunt ist, dass er niemals durch Nachahmung seinen Weg suchte, sondern nach Anschluss strebte mit einer eigenen selbstständigen Arbeit.

Die Lohmer Ausstellung, die aus Anlass des 20. Todestages von Ernö Kunt veranstaltet wird - der Künstler starb am 5. August 1994 in Miskolc im Alter von 74 Jahren - verdeutlicht sehr anschaulich seine geradezu »elektrisierende« künstlerische Handschrift. Die Explosion einer äußersten Sensibilität scheint wohl das Bemerkenswerte dieses Künstlers zu sein, in dabei bestechend großzügigen klaren Gestaltungen, voller Empfindlichkeit für die Linie und das sichere Setzen der Farbwerte. Man mag seine Bilder manchmal für provokant halten, wie etwas abgebrochen wird, in der Fläche zerstört und dann wieder blitzartig formal verdichtet erscheint, Figur und Raum verbindend. Dabei handelt es sich wohl um optische Erfahrungen, denen eine motorische und gewiss auch geplante Systematik zugrunde liegt.

In vielerlei Hinsicht stand Ernö Kunt an der Seite des großen Einzelnen in der ungarischen Kunst, nämlich in der Nähe von Jozsef Egry, dem bewundernswerte Bilder vom Balaton und den Balatonfischern gelangen. Kunt, am Beispiel Egrys gereift, erkannte wohl, dass das Grobe und das Ätherische oft dicht beieinander liegen, das Rohe und das Lyrische, das Barbarische und das Differenzierte. Und das führt zuweilen zu Spannungen, die förmlich explodieren können. Mithin erleben wir in den Bildern von Ernö Kunt ein wirbelndes Ineinanderspiel von Farben und Formen in einem Kräftefeld voller Leidenschaft und innerer Glut.

Grafik von Ernö Kunt, bis Ende September im Seminarraum der Bastei-Apotheke Lohmen, Basteistraße 19. Mo-Fr 8-18 Uhr, Sa 8-12 Uhr

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