Ohne Termin geht nichts mehr
Nach chaotischen Zuständen haben viele Bürgerämter Spontansprechstunden gestrichen
Wer in den vergangenen Tagen den Pass verlängern, einen Ausweis beantragen oder vor der Reise noch einen Kinderausweis haben wollte, brauchte vor allem Geduld. In vielen Bürgerämtern kam es zu tumultartigen Szenen. Immer wieder mussten Mitarbeiter die Ausgabe der Wartemarken schon kurz nach der Öffnung beenden. In Treptow-Köpenick musste beispielsweise Mitte Juli der Warteraum wegen Überfüllung geschlossen werden. Damals bot der Bezirk noch an zwei Wochentagen Sprechstunden für Spontan-Kunden an. »Das nutzten natürlich auch viele Bürger aus anderen Stadtteilen, sodass sich im und vor dem Bürgeramt riesige Warteschlangen bildeten«, sagt der Treptow-Köpenicker Bürgermeister Oliver Igel (SPD).
Die Leiterin des Amtes für Bürgerdienste, Sabine Bimböse, spricht sogar von »Wandertourismus«. »Wer die allgemeine Behördenrufnummer 115 wählte, wurde ganz gezielt zu uns geschickt«, sagt sie. Für die Mitarbeiter im Bürgeramt bedeutete das besonders großer Stress. Der Bezirk hat deshalb kurzerhand entschieden: an allen Sprechtagen nur noch Termine zu vergeben. »Wir wollen dieses Modell jetzt erst einmal ein halbes Jahr testen«, erklärt der Bezirksbürgermeister.
Genauso praktizieren das inzwischen die meisten Berliner Bezirke: Charlottenburg-Wilmersdorf zog unter anderem nach mehreren Vorkommnissen, bei denen es auch Handgreiflichkeiten gegen Mitarbeiter gab, die Notbremse. Seit August gibt es dort nur noch Terminbetrieb in den Bürgerämtern. Pankow und Steglitz-Zehlendorf haben ihren Service ebenso verändert. Der Druck auf Neukölln und Lichtenberg, die als einzige weiterhin an allen Sprechtagen spontane Anliegen der Berliner bearbeiten, nimmt dadurch allerdings zu. »Wir haben auch am Dienstag wieder in einem Amt zwei Stunden nach Öffnung die Nummernausgabe eingestellt«, berichtet der für Bürgerdienste zuständige Lichtenberger Stadtrat Andreas Prüfer (LINKE). Nicht nur die Gänge und Warteräume seien übervoll, die Mitarbeiter wären zunehmend genervt und überfordert. »Ich weiß nicht, wie lange wir das noch durchhalten«, bekennt der Politiker. Diskutiert wird jetzt ebenfalls über eine Umstellung auf die ausschließliche Terminvergabe. Fest steht aber: Bis zum Jahresende ändert sich in Lichtenberg an der Verfahrensweise erst einmal nichts.
Der ebenso für Bürgerdienste zuständige Stadtrat Thomas Blesing (SPD) aus Neukölln kritisiert vehement, dass sich die meisten Bezirke mit der reinen Terminvergabe praktisch abschotten und umso mehr Hilfesuchende dann an die anderen Stellen strömen. »Es ist ein Unding, dass beispielsweise auch unsere Nachbarbezirke Personal aus den Bürgerämtern abziehen und sogar Standorte schließen«, findet Blesing. Neukölln habe dagegen mehr als 60 Mitarbeiter in den Bürgerämtern. Für die Stoßzeiten im Sommerhalbjahr reichten die Kräfte dennoch nicht aus. Der Stadtrat hält die Möglichkeit für spontane Ämterbesuche dennoch für wesentlich. »Es gibt schließlich noch genügend Menschen ohne Computer oder welche, die eben nicht erst stundenlang nach einem Termin telefonieren wollen«, sagt er. Natürlich hat Neukölln aufgrund der großen Kundenströme Gegenmaßnahmen ergriffen und die Wartenummerautomaten abgestellt. Jetzt stellen sich die Leute am Infocounter an, tragen ihr Anliegen vor und werden bedient. »Manchmal schlagen wir vor, kommen Sie morgen um die und die Zeit wieder, dann ist Ihr Problem geklärt«, sagt Thomas Blesing.
Aus Sicht der Treptow-Köpenicker Amtsleiterin Sabine Bimböse könnten die Bürgerämter besser arbeiten, wenn mehr Personal zur Verfügung stehen würde. Doch das Gegenteil ist der Fall: So sollen die Bezirke bis 2016 weitere 1400 Vollzeitstellen abbauen.
Das Problem des Personalmangels könne nur der Senat lösen, sind sich die Bezirke einig. Wie berichtet, hat kürzlich der Rat der Bürgermeister einen kompletten Stopp des Personalabbaus in den Kommunalverwaltungen gefordert. Nicht nur die Bürgerämter trifft die knappe Personaldecke: Die Geldannahmestelle des Standesamtes in Mitte in der Parochialstraße bleibt unter anderem bis zum 8. August geschlossen. Auch die Elterngeldstelle im Jugendamt Friedrichshain-Kreuzberg ist bis zum 29. August dicht.
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