Willkommen in Not und Elend

Diakonie und Caritas verfassen wegen der miesen Versorgung von Flüchtlingen Brandbrief an Senat

  • Ulrike Henning
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Zahl der Flüchtlinge, die in Berlin Asyl suchen, soll in diesem Jahr auf 10 000 Menschen steigen. Das wurde bei der Vorstellung des Jahresberichts des Landesamtes für Gesundheit und Soziales bekannt.

Am Mittwoch stellte das Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) in einem Integrationsbetrieb in Wedding seinen Jahresbericht für 2013 vor. Anwesend war auch der zuständige Senator, Mario Czaja (CDU). Thematisch ging es vor allem um die Beschäftigung von Menschen mit Behinderung, anschließend ausführlich um die Heimaufsicht. Nach einer Stunde kam man dann zu dem dritten, in der Einladung gleichrangig genannten Thema »Asyl – Hilfe für Flüchtlinge«. In der Präsentation gab es dazu fast nur Zahlen. Im gedruckten Bericht umfassen die Probleme der Flüchtlinge ganze dreieinhalb von 76 Seiten – und das, obwohl sich Amtspräsident Franz Allert mit der »Zahl der Flüchtlinge« nach eigener Aussage am meisten beschäftigt hat.


Unter den Fakten werden 18 625 Erstmeldungen bei Asylanträgen für 2013 genannt, eine Verdoppelung gegenüber 2012. Zugewiesen wurden dem Land letztendlich etwa 6000 Flüchtlinge für die Dauer ihres Asylverfahrens, in diesem Jahr wird sogar mit 10 000 Menschen gerechnet. Die im Vergleich damit eher schleppende Unterbringung in Wohnungen – 2013 wurde das 774 Flüchtlingen ermöglicht – scheint für Amt und Senat keine wirkliche Zukunftsoption zu sein, der Wohnungsmarkt sei zu angespannt, heißt es. Es gebe zwar Versuche, diese sogenannte zweite Säule der Unterbringung zu stärken, in diesem Jahr sind bis heute 567 Menschen in Wohnungen untergekommen. Eine viel größere Gruppe lebt in Gemeinschaftsunterkünften – und hier liegen laut diverser Kritiker die größeren Probleme.


Von Nachbarschaftsinitiativen, Oppositionspolitikern oder vom Flüchtlingsrat waren die überfüllten Heime, Notunterkünfte unterhalb niedrigster Standards und mangelnde Kontrolle der privaten Betreiber beanstandet worden. Empörung gibt es auch darüber, dass Heime ohne schriftliche Verträge belegt werden, so dass die Betreiber frei Hand dabei haben, auf Kosten der Flüchtlinge bei der Ausstattung zu sparen. Das Stichwort »vertragsfrei« hat es sogar in den Jahresbericht gebracht, ohne jedoch auf die Konsequenzen für die Bewohner einzugehen.


Auf Nachfrage erklärte Czaja, dass jetzt für die Kontrolle der Unterkünfte zusätzliches Personal eingesetzt würde, eine Veröffentlichung der Prüfberichte sei – im Gegensatz zur Heimaufsicht für Einrichtungen für kranke, behinderte und alte Menschen – aus rechtlichen Gründen nicht möglich. Zudem gebe es für die Flüchtlinge keine Wahlfreiheit. Mittelfristig setzt der Senat darauf, Asylbewerber »gerechter« in den Berliner Bezirken unterzubringen. Ein Anfang sei dabei schon gelungen, indem 2014 endlich auch Neukölln, Reinickendorf und Steglitz-Zehlendorf Unterkünfte bereitstellen. In Steglitz-Zehlendorf sei am Montag eine weitere Einrichtung mit 200 Plätzen eröffnet worden. In Lichtenberg, Pankow und Mitte würden mit einiger Sicherheit noch in diesem Jahr 700 bis 800 neue Plätze zur Verfügung stehen.


Keine Bewegung gibt es in der Frage der angemessenen medizinischen Versorgung der Flüchtlinge vom Oranienplatz und aus der Gerhart-Hauptmann-Schule. Amt und Senator beharren auf der Freiwilligkeit der Leistungen, die nach Ende der Besetzung ausgehandelt wurden. Ärztliche Versorgung über akute Notfallmedizin hinaus werde es nicht geben.


Dagegen hatten sowohl Berliner Ärzte als auch die beauftragten Beratungsteams von Diakonie und Caritas immer wieder protestiert. Die beiden kirchlichen Träger sind gemeinsam für insgesamt etwa 350 Flüchtlinge vom Oranienplatz zuständig. Sie wandten sich in dieser Woche mit einem Brandbrief an mehrere Senatsverwaltungen und kritisierten die Verweigerung von Medikamenten und Folgebehandlungen bestehender Krankheiten – davon seien Flüchtlinge vor Beginn oder nach Abschluss des Asylverfahrens betroffen. Laut Czaja könne es eine Verbesserung erst dann geben, wenn für diese Menschen ihr Status überprüft sei, das solle bis Ende September geschehen. Der CDU-Politiker erklärte zu dem Streitpunkt ungeduldig, dass »durch Erpressung und zu Lasten der 10 000 anderen Flüchtlinge« versucht werde, das geltende Asylrecht zu umgehen.

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