Die Sozialrebellen
Die sogenannte »Modellauto-Affäre« ist natürlich ein dreckiges kleines Geschichtchen, in der Dreistigkeit, elitäre Impertinenz und Bereicherung auf Kosten eines Dritten sich zu einem Lehrstück in Sachen Geschäftstüchtigkeit mausert. 2,6 Millionen Euro haben die Haderthauers mit Modellen verdient. Der Künstler, ein in Haft sitzender Mörder, erhielt dafür lediglich 200 Euro im Monat. Die ganze Affäre ist eine bodenlose Frechheit, ein abermaliger Beweis, wie sich als moralische Instanzen aufführende Menschen aus dem Establishment, völlig unmoralisch verhalten. Eine weitere Hoeneßiade aus dem Süden.
Und wen kümmert es in Bayern? Der Stammtisch wird ein bisschen mosern, aber auch Anerkennung zollen. Mensch, die Frau und ihr Mann haben halt ein Gespür für gute Geschäfte. Und was ist schon verwerflich daran, für sein eigenes Auskommen zu sorgen? Die bayerische Hautevolee aus Politik und Wirtschaft wird sich jedoch gar nicht erst regen. Sicher, man wird sich ein bisschen winden, bis sich der Pressewind gelegt hat. Sagen, dass die Haderthauers da schon zu weit gingen, ein geschmackloses Geschäft abwickelten, aber verstoßen werden beide nicht. Weder Christine noch Hubert. Eher ist es doch so, dass die beiden jetzt so richtig dazugehören. Sie »durchleiden« gerade ihre Initiation, machen den traditionellen Ritus mit, um in Bayern als Persönlichkeit aus Schrot und Korn anerkannt zu werden.
Vor nicht ganz einem Jahr beschrieb ich mal das bayerische Gemüt. Ich bin ja selbst zu Teilen Bayer. Es gibt dort eine unerklärliche Geneigtheit zu Leuten, die »ihr Glück in die eigene Hand nehmen«. Deshalb gedenkt man heute noch liebevoll den Donaumoosräubern oder dem Raubmörder Kneißl. Die Volksseele steht auf Outlaws, auf Rebellen gegen die Obrigkeit und die Steuereintreiber; auf Leute, die mit vorlauter Geste ihr eigenes Schicksal formten. Wenn eine CSU-Person irgendein Geschmäckle abkriegt, krumme Geschäfte oder Touren abwickelt, dann rekrutiert sich genau diese Ehrfurcht, die man noch heute den Banditen von einst entgegenbringt. Dann sagt man »A Hund ist a scho«, was so viel bedeutet wie: »Diese Frechheit hat Courage, meine volle Anerkennung!«
Schon Eric Hobsbawn befasste sich mit diesem Phänomen des Verklärens von Sozialrebellen. Und nichts anderes als »Sozialrebellen« sind diese Leute ja auch für Ihresgleichen. Sie lehnen sich ja gegen Transparenz und soziale Gleichheitsansprüche auf. Oder ist Hoeneß für das bayerische Establishment etwa ein Betrüger? Er ist nicht mal aus ihrer Mitte verstoßen worden. Stattdessen heftete man ihm an, dass er ein Kümmerer sei, einer, der sein Schicksal selbst in die Hand nahm und daran teilhaben ließ. All das sind Punkte, die Hobsbawn als das Image des »edlen Räubers« oder Sozialrebellen bezeichnete. Der macht zum Beispiel »begangenes Unrecht wieder gut«, »nimmt von den Reichen, um die Armen zu beschenken«, nimmt die »Bewunderung des Volkes entgegen« und »wird stets Opfer eines Verrats«. Letztere Rolle übernahm im Fall von Hoeneß wohl der »Stern«. Alle anderen Punkte kann man bei CSU-Sündern und im Umfeld von Leuten, die der Landespartei nahe stehen, immer wieder deuten, denn sie sind das Repertoire aus dem man sich dann bedient.
Die Christsozialen nutzen diesen bayerischen Atavismus für Sympathie gegenüber Gaunern aus, weisen sich als Sozialrebellen aus, die keine andere Wahl hatten und ja nur Gutes bezwecken wollten. Man nimmt dieses Image an und gehört dann mehr denn je zu den Schönen und Reichen. Der Sozialrebell, so schreibt Hobsbawn, kommt »als Mitglied der Gemeinschaft wieder zu den Seinen zurück; eigentlich verlässt er die Gemeinschaft niemals wirklich.« Das kann man im CSU-Land immer wieder beobachten. Wer in der Krise standhält, sein eigenes Handeln verbrämt und mit einem Hauch an sozialrebellischen Image ausstattet, der ist initiiert, sitzt fester im Sattel als vorher. Wenn sich die Haderthauers jetzt noch zu Opfern stilisieren, dann ist die politische Karriere dieser Frau in Bayern noch lange nicht fertig.
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