Glanz im Berg, Rosa auf Wangen
100 Jahre Saalfelder Feengrotten, Ernst Haeckel und das Jahr 1914
Lägen die Grotten nicht in Deutschland, sondern etwa in Amerika, wäre man längst aus aller Welt dahin gepilgert.» Diese Annahme bezieht sich auf die Feengrotten im thüringischen Saalfeld. Im 100. Jahr nach deren Eröffnung als Touristenattraktion verzichtet kaum eine Werbeschrift auf diesen Satz. Schließlich soll ihn 1914, also gleich zum Auftakt, kein geringerer als der Jenenser Professor Ernst Haeckel formuliert haben. Eine Art Autoritätszitat also. Gelesen werden kann und soll es natürlich als eine euphorische Wertschätzung. Doch mit Autoritätszitaten ist das mitunter eine recht ambivalente Sache. Zumal dann, wenn sie sich nicht direkt aufs Fach der Autorität selbst beziehen. Und Ernst Haeckel (1834 - 1919) gilt zwar als d e r maßgebliche Evolutionsbiologe nach Charles Darwin, doch hat er sich weder als Speläologe hervorgetan, geschweige als Soziologe für US-amerikanische Gepflogenheiten; zumindest war er, wie in seiner Vita nachzulesen, nie dort.
Egal. Nehmen wir den Satz einfach als verbalen Ausdruck der Verzücktheit eines berühmten, auch heute hoffentlich noch zum Curriculum der oberen Schulklassen gehörenden Naturforschers angesichts eines ihm fachfremden Naturphänomens. Und diese Verzücktheit ist allemal nachzuvollziehen, wenn man einmal selbst in Saalfeld in den Berg gegangen ist. Vielen dürfte es da unten angesichts von «Gralsburg», «Butterkeller» und «Märchendom» ähnlich beeindruckt den Atem verschlagen, wie dem kleinen bergmännischen Erkundungstrupp, der das alles im Dezember 1913 im Schein von Grubenlampen erstmals zu Gesicht bekam: das Faszinosum der sich in unterirdischem Wasser in Dutzenden unterschiedlichen Brauntönen spiegelnden Tropfsteinsäle. Hermann Meyer, ein Geologe, der damals mit vor Ort war, notierte in seinem Tagebuch ergriffen: «Ehrfurchtsgebietend, feierlich, erhaben in unangetasteter Reinheit und Pracht stand alles vor den Entdeckern.»
Die geologische Entstehungsgeschichte dieses Glanzes im Berg ist ebenso profan wie speziell. Die Feengrotten sind nämlich nicht - wie andere «echte» Tropfsteinhöhlen - über Jahrtausende im Karbonatkarst in natürlichen Hohlräumen meterhoch gewachsen. Vielmehr tropften sie sich in einem aufgegebenen Alaun- und Ockerbergwerk tausendfach schneller als im Karst in nur wenigen Jahrzehnten hoch. Möglich machte das die Substanz Diadochit, ein Eisen(III)-Hydroxi-Phosphat-Sulfat-Hydrat, aus dem die Saalfelder Tropfsteine bestehen. Es war im 19. Jahrhundert in der Nähe von Saalfeld vom Freiberger Mineralogen August Breithaupt erstmals beschrieben worden.
All das erläutert Yvonne Wagner, die Geschäftsführerin der Feengrotten und Tourismus GmbH, nach der Untergrundtour oben im Grottoneum sehr anschaulich in vielen Details. Dieses Museum ist technisch wie didaktisch auf neuestem Stand. So kann man dort beispielsweise verschiedene Moleküle auf einer elek᠆tronischen Benutzerfläche zu Kristallen zusammenfügen, sich experimentell den pH-Wert erschließen oder aber alle möglichen Grottengeheimnisse im wahrsten Wortsinne erfassen, auch erriechen und erschmecken. Ein kurzweiliges, befriedigendes Bildungserlebnis, bei dem man auch zu der nicht unkomplizierten Diadochit-Zusammensetzung Zugang findet. Und zwar ohne dass man, von der Summenformel Fe3+2(PO4)(SO4)(OH)·6H2O verschreckt, auf Durchzug schaltet oder das Weite sucht.
Insgesamt besuchen derzeit jährlich rund 120 000 Menschen den Feengrottenpark. Statistisch gesehen ist das der Wert von 1922. Zu DDR-Zeiten waren es etwa 300 000, mit der absoluten Spitze von 450 000 im Jahr 1955. Aber natürlich ist das alles über die Jahrzehnte nicht so formal vergleichbar, sagt Yvonne Wagner. Schließlich ist die Konkurrenz anderer Sehenswürdigkeiten seither viel größer geworden, und die Reisegewohnheiten haben sich ohnehin geändert, vor allem im Osten Deutschlands.
Und selbst die 120 000 Besucher pro Jahr seien nur durch die Innovationen der letzten Jahre zu sichern. Dazu gehört auch das überirdische «Feenweltchen», ein magischer Abenteuerwald für die Allerjüngsten, der aber auch den Großen sichtlich kindliche Freude bereitet. Eine der diensteifrigen Feen, Lisa Halluschky, angehende Tourismuskauffrau, ist mit Ausdauer dabei, kleinen Mädchen und Jungen, bevor sie sich zur Entdeckungstour durch das Weltchen aufmachen, die Wangen mit fee᠆ischen Insignien zu bemalen. Am gefragtestes, sagt sie, sind sie in Rosa.
Saalfeld und Umgebung ist, wenn man sich darauf eingelassen hat, insgesamt gut gegen Fernweh. Es gibt viel zu sehen, Interessantes wie Überraschendes. Zwischen Saalfeld und Rudolstadt liegt beispielsweise die «Aelteste Volkstedter Porzellanmanufaktur». Sie wurde vom Bayrischen Unternehmen «Königlich Tettau» bereits 1990 gekauft. «Wir waren gleich da. Unsere Vertragsnummern bei der Treuhand waren 79, 80 und 81», erzählt der Tettauer Prokurist Uwe Motzke. Was sich offensichtlich gelohnt hat. Hauptexportpartner ist in Nachfolge der UdSSR nach wie vor Russland. Verkaufsausstellung und Fertigung der «gläsernen» Fabrik sind auch Besuchern zugänglich.
Auf dem fjordhaften Hohenwartestausee kann man sportlich mit dem Kanu unterwegs sein oder sich auf einem Wikingerboot von Eignerin Deni Fritz kulinarisch bedienen lassen. Nahe Meura ist die 2006 in Betrieb gegangene Leibis/Lichte-Talsperre zu überqueren oder zu umwandern. Ihre Staumauer ist 100 m hoch, der Stausee 3,6 km lang. Eine etwas verwitterte Gedenktafel informiert, dass hier beim Dorf Leibis, nunmehr 90 Meter tief auf dem Grund des Stausees liegend, einst die erste Firma für den Kräuterlikör «Kuemmerling» gegründet worden war.
Die Oberweißbacher Bergbahn ist laut Dr.-Ing. Wolfgang Bäseler die weltweit steilste Standseilbahn für Normalwagentransport. Steigt man n nach den 1,3 km bergauf in die Flachstrecke nach Cursdorf um, fährt man in Wagen einer umgebauten alten Berliner S-Bahn weiter. Unser am Cursdorfer Bahnhof wartende Bus ist ein knallig rot-schwarz aufgemotzter Zittauer Robur, Baujahr 1974.
In Oberweißbach ist Friedrich Fröbel (1782 - 852) geboren, ein höchst innovativer Schüler des Vaters der modernen Pädagogik, Johann Heinrich Pestalozzi (1746 - 1827). Von Fröbel stammen Idee, Praxis und Begriff des Kindergartens. In aller Welt ist das seither übernommen worden. Auch der Namen Kindergarten ist in 47 Sprachen gebräuchlich, sagt Gerd Eberhardt, Geschäftsführer und Kustos des Fröbelhauses. Benutzt werde er allerdings heute nur noch in 46 Sprachen. Im Deutschen hätten Bürokraten, unterstützt von Politikern und Journalisten, an seine Stelle inzwischen das nichtssagende Kürzel «Kita» gesetzt.
Doch zurück in die Kreisstadt Saalfeld. Das 100. Jubiläum der Feengrotten, die der Naturforscher Ernst Haeckel einst so pries, füllt ein imposantes Jahresprogrammheft. Der Tatsache, dass nur wenige Wochen nach deren Eröffnung 1914 der Erste Weltkrieg entfacht wurde, trägt das Stadtmuseum mit einer regionalhistorischen Sonderausstellung Rechnung (Eröffnung 27. 9.) ...
... womit wir in gewisser Weise auch irgendwie wieder bei Professor Haeckel wären. Von ihm gibt es nämlich nicht nur die wohlwollende Bemerkungen zu den Feengrotten, sondern auch Hunderte Druckseiten mit chauvinistischer Bejubelung des Ersten Weltkrieges. So schrieb er Ende 1914 in einem umfänglichen Traktat mit dem Titel «Ewigkeit» auch dies: «Ein einziger fein gebildeter deutscher Krieger hat einen höheren intellektuellen und moralischen Lebenswert als Hunderte von den rohen Naturmenschen, welche England und Frankreich, Russland und Italien ihnen gegenüberstellen.»
Schuster bleib bei deinen Leisten, ist das wenigste, was man dazu sagen möchte. Mit seiner Bewertung der Feengrotten liegt Haeckel indes seit 100 Jahren richtig.
Infos
www.porzellanmanu᠆faktur-volkstedt.com
Touristische Infos zu Thüringen: Tourist Information Thüringen, Willy-Brandt-Platz, 99084 Erfurt
Tel: (0361) 37 420 www.thueringen-tourismus.de
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