Rauchzeichen in Altona
Wo früher viele Zigarrenmacher ihrem Gewerbe nachgingen, ist nur noch die Werkstatt von Stefan Appel geblieben
Dieser Laden in Altona-Altstadt ist für einen Nichtraucher vermutlich die Vorhölle. Für leidenschaftliche Zigarrenfreunde ist er hingegen möglicherweise schon so etwas wie ein Stück Paradies. Hier dürfen die Liebhaber der dunklen, dicken Glimmstengel das tun, was woanders schon gesellschaftlich geächtet ist: nach Herzenslust paffen. Denn hier ist das Reich von Stefan Appel, dem letzten Zigarrenmacher Hamburgs. Vorn in den Geschäftsräumen befindet sich seine Ein-Personen-Manufaktur. Im hinteren Bereich ist das Raucherzimmer - den modischen Begriff »Lounge« lehnt Appel ab. Dort können sich Anhänger der zusammengerollten Tabakblätter ihrem Genuss hingeben, schweigen oder auch plaudern - je nach Laune.
Von außen weist eigentlich nichts darauf hin, dass Appel hier einem alten Handwerk nachgeht. In Altona gab es im 18., 19. und 20. Jahrhundert zahlreiche Zigarrenmacher, die sogar ihre eigenen Gewerkschaften gründeten. 1788 nahm die erste Zigarrenmanufaktur namens Schlottmann in Hamburg ihren Betrieb auf. Europäer hatten das Zigarrenrauchen von den indigenen Völkern Lateinamerikas übernommen. Für eine gewisse Zeit galt es sogar als heilsam.
Fünf Jahre war Appel Angestellter der Firma Otto Hatje, die 1922 gegründet wurde: »Als ich anfing, gab es noch acht Familienbetriebe, die Zigarren herstellten.« Rund 130 bis 150 Zigarren könnte er am Tag schaffen, wenn er wollte. Doch er räumt ein, dass das Zigarrenmachen auf die Dauer eine monotone Tätigkeit ist. Einst erleichterten Vorleser den Zigarrenmachern die eintönige Arbeit und vermittelten damit auch Bildung.
Allein von der Zigarrenherstellung lebt der frühere Kfz-Mechaniker nicht. Zum einen verkauft er auch Zigarren anderer Hersteller. Zum anderen wird er gerne von Firmen gebucht, um etwa vor Weihnachten oder bei Betriebsfesten vorzuführen, wie solch ein Traditionshandwerk funktioniert.
Wer raucht heutzutage noch Zigarren? Appel: »Früher bestand mein Kundenstamm aus Männern über 50. Doch das hat sich im Laufe der Jahre gedreht. Viele sind Anfang 20, die Spaß daran haben und regelmäßig rauchen.« Doch »Rauchen«, korrigiert er sich, sei nicht der richtige Ausdruck, denn Zigarren werden gepafft, also nicht inhaliert. Er selbst konsumiere etwa drei bis fünf Zigarren täglich. »Nach dem Frühstück die erste, und wenn ich in den Laden komme beim Sichten der Bankbelege und der Post die nächste.« Lange Zeit galt Zigarrenrauchen als Marotte älterer Herren. Einer der bekanntesten Zigarrenraucher ist wohl der frühere britische Premier Winston Churchill. Auch Ludwig Erhardt, zweiter Kanzler der Bundesrepublik, konnte nicht von der Altherren-Droge lassen. Der Revolutionär Che Guevara frönte ebenfalls dem Zigarrengenuss - und in Kuba war er direkt an der Quelle.
Zigarrenrauchen gilt bei vielen Promis inzwischen als cool. Doch Appel wehrt ab: »Sogenannte hippe Leute habe ich hier nicht. Die, die kommen, haben Spaß dran, denen schmeckt es. Die sind eigentlich ganz normal. Das Szene-Volk tummelt sich woanders.« Frauen würden zwar auch in seinen Rauchersalon kommen: »Aber nicht so viele.«
Wer Zeit hat, macht es sich im kleinen Salon mit seinen drei Sesseln gemütlich, braut sich einen Kaffee oder genießt einen (selbst mitgebrachten) Brandy oder Likör. Entspannung pur, der Alltag bleibt draußen. Was verbindet die Zigarrenraucher? Appel überlegt: »Ich denke, alle verbindet so eine gewisse Grundgelassenheit. Ich habe noch nie erlebt, dass sich Zigarrenraucher in die Haare gekriegt haben.« Dann zündet er sich eine an - und schweigt erst einmal.
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