NRW schiebt nach Köpenick ab
BGH-Urteil könnte Zahl der Flüchtlinge im Berliner Gewahrsam weiter steigen lassen
Badra Diarra ist frei. Der Flüchtlingsaktivist vom Oranienplatz muss nicht zurück in Abschiebegewahrsam, wie die Einrichtung in der Grünauer Straße in Köpenick behördlich genannt wird. Sowohl Diarra als auch andere Flüchtlinge sprechen vom Abschiebknast, was allein schon deshalb nicht weit hergeholt ist, da der graue Bau schon zu DDR-Zeiten als Frauengefängnis diente. Diarra muss nicht zurück, weil das Magdeburger Landgericht am Mittwoch entschied, die Abschiebehaft für den jungen Mann aus Mali sei unzulässig. Sein Glück war, dass es der Berliner Senat versäumt hatte, nach der »Oranienplatz-Vereinbarung« mit den Behörden in jenen Bundesländern zu sprechen, die nach formaler Gesetzeslage die Asylverfahren der Flüchtlinge betreuen. Da Diarra vom Senat nicht nur ein Dokument bekam, was ihm als Unterzeichner der Vereinbarung auswies, sondern darüber hinaus einen Wohnheimplatz sowie eine Vorladung der Ausländerbehörde Berlin erhielt, musste der Flüchtling davon ausgehen, das Land habe sich seines in Sachsen-Anhalt bereits erfolglosen Asylantrags noch einmal angenommen. Obwohl die Abschiebung damit nicht abgewendet ist, bleibt Diarra vorerst in Freiheit.
So viel Glück hat Mokhtan Meguitif nicht. Der Algerier sitzt am Mittwoch im spärlich gestalteten Besucherraum des Gewahrsams und erzählt von seinem Schicksal. Das Empfangszimmer passt zur Stimmung des 48-Jährigen. Kahle, grau-weiße Wände, deren Tristesse nur von zwei gemalten Bildern eines Segelschiffs und Drachens unterbrochen wird, die aber nicht über den mit Gitterstäben gesicherten Flur hinwegtäuschen können, durch den Meguitif von einer Justizbeamtin herein- und nach dem Gespräch wieder hinausgeführt wird.
Das Abschiebegefängnis in Köpenick ist nicht nur politisch umstritten, sondern auch finanziell. Nach den zuletzt vorliegenden Zahlen aus dem Jahr 2012 kostet die Einrichtung das Land Berlin monatlich rund eine Million Euro. Zwischenzeitlich wurde deshalb über einen Umzug nachgedacht.
Nach Angaben der Innensenatsverwaltung aus dem Jahr 2011 befand sich ein Flüchtling durchschnittlich 26 Tage in Abschiebehaft. Hilfsorganisationen bestätigen, dass die Zahl sich in den letzten Jahren nicht wesentlich geändert habe.
Immer wieder kommt es im Abschiebeknast zu Suizidversuchen. So starb ein 28-jähriger Tunesier Anfang 2008 an den Folgen seiner Verletzungen.
Zwischen einer Haftunterbringung und dem Abschiebegewahrsam gibt es gesetzliche Unterschiede. So ist den Flüchtlingen unter anderem der Besitz eines einfachen Mobiltelefons erlaubt, die Besuchszeiten werden großzügiger gestaltet. rdm
Die Hände fest übereinandergelegt verbirgt der 48-Jährige die Wunden, die er sich kurz nach seiner Überführung aus der Justizvollzugsanstalt Büren am 26. Juli bei einem Suizidversuch zugefügt hat. »Ich will auf keinen Fall zurück nach Algerien«, sagt Meguitif im leisen, ängstlich klingenden Deutsch. Vor 14 Jahren kam er über Spanien und Frankreich nach Deutschland, stellte dann in Köln erfolglos einen Asylantrag und lebte anschließend in Bonn die meiste Zeit von Gelegenheitsjobs als Putzkraft oder in der Gastronomie, zuletzt als Pizzabäcker. Ein Beruf, in dem er gerne eine Ausbildung machen würde, wenn er bleiben dürfte. Danach sieht es nicht aus, seine Abschiebung ist für Anfang September angesetzt.
In Algerien würde im schlimmsten Fall der Tod auf ihn warten, befürchtet Meguitif. In seinem früheren Leben war er Anhänger einer militanten islamischen Organisation, die während des algerischen Bürgerkriegs in den 90er Jahren gegen die Regierung kämpfte. Dafür landete er fünf Jahre im Gefängnis, wo er begann, sich von seinen Weggefährten zu distanzieren, die sich im Fall seiner Rückkehr womöglich für den vermeintlichen Verrat an ihm rächen wollen. »Heute bereue ich meine Taten«, sagt Meguitif. Seine Jahre in Bonn hätten ihm dabei geholfen, sich dank neuer Freunde ein anderes Leben aufzubauen. Doch »seine Familie«, wie Meguitif sie nennt, ist in Bonn, während er im Köpenicker Abschiebeknast seine Zeit mit warten verbringt und inzwischen seit zwei Wochen im Hungerstreik gegen seine Unterbringung im Köpenicker Abschiebeknast protestiert.
Dabei war der Anlass für seine Verlegung nach Berlin für Flüchtlinge und Hilfsorganisationen, wie die Initiative gegen Abschiebhaft, im Kern zunächst positiv, würde die Entscheidung des Bundesgerichtshofes (BGH) für Meguitif und 20 weitere Inhaftierte aus Nordrhein-Westfalen (NRW) nicht solche negativen Folgen nach sich ziehen. Am 25. Juli urteilte der BGH, die bisherige Praxis, Abschiebehäftlinge in normalen Gefängnissen unterzubringen, sei nicht mit dem Europarecht vereinbar. Neben NRW muss seitdem die Hälfte aller Bundesländer ihren Umgang mit Flüchtlingen überdenken. Die kurzfristige Lösung aus Sicht NRWs? Anstatt einer möglichen Freilassung beantragten die Behörden in NRW eine Unterbringung der meisten Betroffenen in der Berliner Abschiebehaft, die den vom BGH verlangten Trennungsvorgaben entspricht.
»Der Berliner Abschiebeknast wird infolge der Beschlüsse des Bundesgerichtshofes und des Europäischen Gerichtshofes zunehmend zum Sammelbecken von Flüchtlingen aus anderen Bundesländern«, kritisiert der Flüchtlingsexperte der Piraten, Fabio Reinhardt. Gemeinsam mit seinem Parlamentskollegen Oliver Höfinghoff (Piraten) besuchte er Anfang der Woche Diarra und Meguitif. »Beide Flüchtlingsschicksale stehen stellvertretend für die Ungerechtigkeiten der deutschen Asylpolitik«, so Reinhardt.
Das eigentlich begrüßenswerte BGH-Urteil führt nun dazu, dass in dem noch vor wenigen Jahren kurz vor der Schließung stehenden Abschiebegewahrsam zumindest zeitweise mit einer höheren Auslastung zu rechnen ist. Eine zweifelhafte Unterbringung, die mit Kosten von elf Millionen Euro jährlich viel zu teuer ist, wie bereits 2012 eine parlamentarische Anfrage der SPD an die Senatsinnenverwaltung ergab, zumal teilweise nur eine Handvoll Abschiebehäftlinge untergebracht waren. Aufgrund dessen erwog der Senat den Umzug in ein kleineres Gefängnis oder die Zusammenlegung mit der Abschiebehaft im brandenburgischen Eisenhüttenstadt. Beide Optionen wurden verworfen, so dass das in die Jahre gekommene Gefängnis in Köpenick weiter als Abschiebegewahrsam genutzt wird. Bis zu einer Lösung der schwierigen Situation will Diarra weiter im Hungerstreik bleiben.
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