Die vergessene »Operation Kurdenhilfe«

Eine Hilfsaktion am Rande eines US-Irak-Krieges führte zu »12 Grundregeln für die deutsche humanitäre Hilfe im Ausland«

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.
Obwohl Eile geboten ist, dauert es derzeit relativ lange, bis man aus Deutschland humanitäre Hilfe in Richtung Irak schickt. Dabei hat man damit eigentlich Erfahrungen. Sogar in der Region.

Offiziell beteiligte sich Deutschland nicht am Golfkrieg, den vor allem die USA im Verein mit Großbritannien 1991 bis 1992 gegen Irak geführt haben. Schlägt man nach in Hochglanzchroniken zur Geschichte der Bundeswehr, findet man durchaus Hinweise auf eine »tatkräftige Unterstützung« durch die Bundeswehr. Die verlegte beispielsweise Luftabwehreinheiten der ehemaligen DDR-Armee nach Ramstein. Die NVA verfügte über die gleiche Technik wie die irakischen Truppen. So konnte man den Kampffliegern der westlichen Allianz als Übungsgegner dienen. Die Bundeswehr verlegte auch Truppen in die Türkei, um den NATO-Partner »vor eventuellen Vergeltungsschlägen des Iraks zu schützen«. Insgesamt zahlte Deutschland neben den Kosten für die logistische Unterstützung umgerechnet 8,794 Milliarden Euro als Kriegsbeihilfe. Von Kampfeinsätzen im Ausland war man allerdings noch meilenweit entfernt.

Irgendwie wundert man sich dennoch, dass die Bundeswehr einen relativ großen Einsatz in jener Zeit so gut wie vergessen hat. Dabei könnte man sich die »Operation Kurdenhilfe« durchaus als Ehre anrechnen. In 70 Tagen wurden über eine Luftbrücke rund 1700 Tonnen Hilfsgüter in die Türkei und nach Iran geflogen und vor Ort an kurdische Flüchtlinge verteilt.

Die 1991 im Rahmen der Operation eingesetzten C-160 »Transall« - in diesen Tagen schickt man gerade vier dieser Flugzeuge ins irakische Kurdengebiet nach Erbil - hatten 4078 Flugstunden in den Büchern. Mehr als 500 Pioniere, Heeresflieger und Sanitätspersonal waren in den türkischen und iranischen Grenzgebieten nördlich des Irak eingesetzt. Heeresflieger waren mit CH-53-Maschinen vor Ort im Dauereinsatz. In diesen Tagen prüft man nun, ob sich eventuell deutsche Hubschrauber der Luftwaffe - es sind die gleichen wie damals - zur Rettung der im Sindschar-Gebirge eingeschlossenen Flüchtlinge eignen könnten. 1991 errichtete man vor Ort ein Notkrankenhaus, baute mit NVA-Material Zeltstädte, um den fliehenden Zivilisten Obdach zu bieten. Später dann sorgten in internationaler Abstimmung auch deutsche Soldaten für die Rückführung und den Schutz von insgesamt mindestens 1,5 Millionen irakischen Flüchtlingen überwiegend kurdischer Herkunft.

Im April 1992 gründete sich im Berliner Auswärtigen Amt ein »Gesprächskreis Humanitäre Hilfe«. Dazu trafen sich alle wichtigen deutschen staatlichen und nichtstaatlichen Stellen, die im Ausland humanitäre Hilfe leisten. Anlass für die Gründung des Gesprächskreises waren die Erfahrungen mit der Kurdenhilfe im Jahr 1991. Die Teilnehmer waren sich sicher, dass man der wachsenden Herausforderung im Bereich der internationalen Katastrophen- und Flüchtlingshilfe nur durch eine Bündelung der verschiedenen Kräfte angemessen begegnen könne.

Zu diesem Zweck beschloss der Gesprächskreis für den Fall einer Katastrophe oder eines größeren Konflikts den Einsatz eines gemeinsamen Krisenstabes im Auswärtigen Amt, der die Hilfsleistungen im Ausland unter Einbindung der nichtstaatlichen Hilfsorganisationen und der zuständigen Stellen der Bundesregierung koordinieren sollte.

Im Juni 1993 verabschiedete der Gesprächskreis »12 Grundregeln für die deutsche humanitäre Hilfe im Ausland«, an die sich alle Beteiligten in freiwilliger Selbstbindung halten sollten. Inhalt dieses Papiers ist beispielsweise, dass »Hilfe und Schutz ... ohne Ansehen von Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, politischer Überzeugung oder sonstigen Unterscheidungsmerkmalen gewährt« werden. Humanitäre Hilfe dürfe weder von politischen oder religiösen Einstellungen abhängig gemacht werden noch dürfe sie diese fördern. »Einziges Kriterium bei der Abwägung von Prioritäten der Hilfeleistungen ist die Not der Menschen.«

Man war damals keineswegs blauäugig und von deutscher Allmacht überzeugt. Von Anfang an wollte man mit örtliche Kräften planen und Maßnahmen koordinieren. Die Hilfeleistenden, so hieß es in Regel Nummer 6, »respektieren im Einsatzland geltendes Recht und Brauchtum. Sofern es bei dem Bestreben, die bestmögliche Hilfe zu leisten, mit Bestimmungen des Empfängerlandes zu Konflikten kommt, ist auf deren Beilegung im Hinblick auf das Ziel humanitärer Hilfe hinzuarbeiten.«

Man betonte, dass Hilfsgüter stets bedarfsgerecht eingesetzt werden und den lokalen Standards entsprechen sollten. Ausschlaggebend für Auswahl von Hilfsgütern sei allein die aktuelle Notlage. Zudem sollte man bei der Beschaffung von Hilfsgütern »dem Einkauf in der von der Notlage betroffenen Region« den Vorzug einräumen.

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