Radikal für Braunkohle
Der IG BCE ist selbst die NRW-SPD nicht braunkohlefreundlich genug
Das Treffen nennt sich »Lausitz-Dialog«, findet am kommenden Montag statt und dreht sich um die Zukunft der Braunkohle. Zwar lädt die Gewerkschaft IG Bergbau, Chemie, Energie ein, aber der Dialog findet in der Hauptverwaltung des Energiekonzerns Vattenfall in Cottbus statt.
»Ein Doppel-Ausstieg aus der Atomkraft und aus der Braunkohle wird nicht funktionieren, egal wie viel Windräder und Solaranlagen wir in den nächsten Jahren aufstellen«, lässt sich Michael Vassiliadis, Bundeschef der IG BCE, vorab zitieren. Allzu kontrovers wird der Dialog mit dem Vattenfall-Konzern wohl nicht ausfallen: Das schwedische Staatsunternehmen betreibt in der Lausitz mehrere umstrittene Tagebaue und Kraftwerke, rühmt sich, jede zehnte in Deutschland verbrauchte Kilowattstunde Strom komme aus der Lausitzer Braunkohle. Und der Profit des einen ist der Arbeitsplatz des anderen. Angekündigt hat sich auch Günter Oettinger, CDU-Politiker und EU-Kommissar für Energie, dessen Vision von einem »Energieeuropa« lautet: »Das Entscheidende ist der Strompreis.« Bei Textilien werde auch nach Preis gekauft - trotz Kinderarbeit, die man dem T-Shirt ja genau so wenig ansehe wie der Elektrizität deren Herkunft. Egal, ob Atom-, Kohle- oder Solar-Strom: Hauptsache, billig!
Vier der fünf klimaschädlichsten Kraftwerke Europas stehen in der Lausitz sowie im Rheinischen Revier bei Köln, den beiden wichtigsten Braunkohleregionen Deutschlands. Neben giftigen Schwermetallen wie Quecksilber, Blei und Arsen stoßen Braunkohlekraftwerke vor allem das Treibhausgas Kohlendioxid aus - und heizen so den Klimawandel an. Doch zwei der drei im Energiebereich tätigen DGB-Gewerkschaften puschen die Braunkohle auch weiterhin und setzen die Politik auf Landes- und Bundesebene unter Druck.
Von Cottbuser Großdemonstrationen pro Braunkohle (»Energie für Generationen«) mit mehreren tausend Teilnehmern wie im März 2013 können Gewerkschafter im Rheinischen Revier indes nur träumen. Als Gegenaktion zu Klimaprotesten im Revier hängten IG BCEler im Sommer letzten Jahres Transparente mit bemerkenswerten Slogans wie »Demokratie muss Grenzen haben« und der Warnung vor Stromausfällen (»Nachts scheint keine Sonne«) an einen Hügel. Es hatten sich nicht genug Menschen eingefunden, um das halbe Dutzend Transparente selbst zu halten.
Doch in solchen Aktionen erschöpft sich die Arbeit der Energie-Gewerkschaften in Nordrhein-Westfalen nicht. Längst steht insbesondere der ehemalige IG BCE-Funktionär und heutige Vorsitzende der SPD-Fraktion im Landtag, Norbert Römer, unter Beschuss. So musste Römer sich Anfang Juli auf einer RWE-Betriebsräte-Konferenz »sehr viel Kritik« (so ein Bericht der Gewerkschaft) gefallen lassen. Ähnlich wie Sigmar Gabriel in diesen Tagen von Arbeitnehmervertretern aus der Rüstungsindustrie. Der Grund: Zwar ist die SPD in NRW notorisch kohlefreundlich und schickt mit Ministerpräsidentin Hannelore Kraft und ihrem Wirtschaftsminister Garrelt Duin zwei lautstarke Fürsprecher ins Rennen um die Meinungsführerschaft. Doch hatte es die rot-grüne Landesregierung vor ein paar Monaten gewagt, den Ausbau des Tagebaus Garzweiler II ein Stück weit zu begrenzen, was die IG BCE als »Angriff auf die Braunkohle« wertet. Noch steht die von Kraft angekündigte »Leitentscheidung« zum Rheinischen Revier aus. Die IG BCE will die Suche »kritisch und konstruktiv« begleiten.
Inhaltlich sind sie sich im ost- wie im westdeutschen Revier einig: Die deutsche Braunkohle muss eine Zukunft haben. Zwar unterstütze die IG BCE eine »wirtschaftlich vernünftige und sozial gerechte Energiewende«, betont deren Pressesprecher Michael Denecke. Doch bleibe die Braunkohle »ein starker und unverzichtbarer Partner auf dem Weg zu einer kernkraftfreien Energieversorgung auf weitgehend erneuerbarer Basis«. Deswegen brauche die konventionelle Energieerzeugung - also Kohle- und Atomkraft - »verlässliche und zukunftsträchtige Strategien«. Der Gewerkschafter wettert gegen »immer neuer Belastungen und Unsicherheiten« und redet den deutschen Anteil am Klimawandel klein (»nur 2,8 Prozent«).
»Moderne Braunkohlekraftwerke mit hohem Wirkungsgrad werden auch im weiteren Verlauf der Energiewende noch benötigt«, sagt auch Reinhard Klopfleisch, Referatsleiter Energie- und Bergbaupolitik in der ver.di-Bundesverwaltung. Doch weist der Gewerkschafter den Stromerzeugungsanlagen eine neue Rolle zu: als Ergänzung der Erneuerbaren, um so die Versorgungssicherheit aufrechterhalten zu können. Dafür müsste, räumt der Verdianer ein, die technische Regelbarkeit der Braunkohlekraftwerke optimiert werden. Allerdings werde die Bedeutung der Braunkohle abnehmen, die gravierenden Folgen der Umstrukturierung müssten zukunftsfest und sozialverträglich geschultert werden. Im Gegensatz zu seinem IG-BCE-Kollegen Denecke schweigt sich Energieexperte Klopfleisch zu den Klimabelastungen durch Braunkohle nicht aus. Aus seiner Sicht relativiert sich jedoch das Klimaargument, weil neue Kraftwerke ein Drittel weniger Kohlendioxid ausstoßen würden und ihre Betriebsstundenzahl begrenzt werden sollte. Ob sich die Milliarden teuren Neu-Kraftwerke so je amortisieren, lässt der ver.di-Mann offen.
Die IG Metall vertritt vor allem die Arbeitnehmer in der Solar- und Windkraft, was sich in ihren Positionen niederschlägt. Hannelore Elze, die das Zweigbüro der IG Metall in Düsseldorf leitet, sieht sich selbst als harte Lobbyistin der energieintensiven Industrien wie Chemie oder Stahl, findet aber, beim Thema Braunkohle müssten die Gewerkschaften »realistisch« bleiben. »Wir sollten bei der Verstromung von fossilen Energieträgern sehr zurückhaltend sein«, sagt die Gewerkschafterin, »durchaus im Dissens mit der IG BCE«.
In einem Hintergrundpapier zur Energiewende forderte die IG Metall bereits 2012 den weiteren Ausbau der Erneuerbaren, um so »unsere Energieversorgung unabhängig von fossilen Energieträgern zu machen«. Nicht die Erneuerbaren würden die Strompreise nach oben treiben, zumal Kohle- und Atomstrom deutlich teurer seien. Das Papier verweist auf Jahrzehnte währende Finanzhilfen, Steuervergünstigungen und weitere begünstigenden Rahmenbedingungen. Zudem würden Folgekosten von Atom- und Kohlestrom wie Umwelt- und Gesundheitsschäden nicht in den Strompreis einfließen.
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