Hitze-Notstand in Frankreich

Regierung hat aus Todeswelle von 2003 kaum Lehren gezogen

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 2 Min.
In Frankreich geht die Furcht um vor einer Wiederholung der Todeswelle wie im Sommer 2003. Damals haben die Behörden erst nach Wochen auf Warnrufe von Notfallmedizinern reagiert. Aufhalten konnten sie die unheilvolle Entwicklung nicht. Letztlich zählte man 15 000 Todesfälle vor allem älterer Bürger, die der extremen Hitze zum Opfer gefallen waren. Gegenwärtig ist das Thermometer wieder in extreme Höhen geklettert. Die Meteorologen rechnen damit, dass die Hitzewelle bis in den August reicht. Für 56 von 91 Departements hat die Regierung den Hitzenotstand ausgerufen. Tagsüber werden fast überall 36-38 Grad Celsius im Schatten gemessen. Nachts sinken vielerorts die Temperaturen kaum unter 30 Grad. In den letzten zwei Wochen hat man bereits mehr als 40 Todesfälle registriert, die eindeutig auf die Hitze zurückgehen. Davon waren zwei Drittel älter als 70. Da mit einem Ansturm auf Notaufnahmestationen gerechnet wird, hat Gesundheitsminister Xavier Bertrand Medizinstudenten und pensionierte Ärzte aufgerufen, das Personal zu verstärken. Patrick Pelloux, Präsident des Verbandes der Notfallmediziner, der 2003 als erster die Alarmglocken geläutet hatte, beklagt, dass die Regierung »kaum Lehren aus dem Desaster seinerzeit gezogen hat«. Wieder seien über den Sommer reihenweise Krankenhausstationen geschlossen und das Personal im Urlaub. Dr. Pelloux fordert seit Jahren ein Gesetz, das verhindert, dass im Sommer bis 40 Prozent der Krankenhausbetten nicht belegt werden können. Er bedauert, dass auch diesmal wieder »amateurhaft improvisiert« wird. Tatsächlich bedeutet der »Hitzenotstand« bislang kaum mehr, als dass alle Franzosen und vor allem die Alten durch Spots in Rundfunk und Fernsehen aufgefordert werden, ausreichend zu trinken und tagsüber den Aufenthalt im Freien zu vermeiden. Für die, die Hilfe suchen, werden Notnummern mitgeteilt. Die Gesundheitsbehörden müssen alle eindeutig hitzebedingten Erkrankungen und Todesfälle sofort an das Gesundheitsministerium melden, damit ein Informationsdefizit wie 2003 vermieden wird. In den Notstandsregionen sollen Sozialarbeiter, Kommunalangestellte, Polizisten und Feuerwehrleute regelmäßig allein lebende Alte aufsuchen, um sich vom Gesundheitszustand zu überzeugen. 2003 zählte man die meisten Toten unter Rentnern, die allein lebten und die niemand vermisste. Die 2003 unter dem Eindruck der Todeswelle durch die Regierung abgegebenen konkreten Versprechen wurden bisher nicht erfüllt. So sollten Altersheime mindestens einen großen Raum mit einer Klimaanlage ausgestattet bekommen. Unglücklicherweise fällt der Hitzenotstand mit einem Streik von Chirurgen, Anästhesisten und Geburtshilfeärzten in privaten Praxen und Kliniken zusammen.
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