Springfield ist überall
25 Jahre »Die Simpsons«
Es gibt Fragen der Popkultur, auf die wird es aus guten Gründen nie eine befriedigende Antwort geben. Millionen von Fans der Zeichentrickserie »Die Simpsons« grübeln seit dem Start der Sitcom im Jahr 1989 über ein Geheimnis: In welchem Bundesstaat liegt die US-Kleinstaat Springfield, in der die berühmteste gelbe Fernsehfamilie der Welt seit inzwischen 25 Jahren lebt? Für die Antwort bringt es nichts, nach konkreten Hinweisen in der Serie selbst zu suchen. Erfinder Matt Groening und sein Team platzieren Springfield in jeder Folge dort, wo es für die Handlung notwendig ist. Es gibt nur wenige Konstanten, die aber eine geografische Verortung unmöglich machen: Springfield liegt an einem nicht näher definierten Meer. Vor den Toren der Kleinstadt befindet sich ein gleichnamiger Berg und je nach Episode variierend eine undurchquerbare Wüste, ein tosender Fluss oder ein bis zum Horizont reichender Wald, in dem sich Vater Homer, Mutter Marge, und die Geschwister Bart, Lisa samt dem Baby Maggie auch einmal verirren.
Springfield selbst bildet ebenso ein eher wandelbar organisiertes Universum, dass sich an seine Protagonisten beliebig anpasst. Würde man sämtliche Viertel, Geschäfte, Museen und anderen öffentlichen Gebäude, die jemals in der Serien eine Rolle spielten, tatsächlich an einem einzigen Ort vermuten, die Heimat der Simpsons müsste wohl eher eine Metropole wie New York gleichen und nicht einer US-Kleinstadt mit einem Namen, der sich auf der realen US-Landkarte 71 Mal wiederfindet.
Womit sich die Frage nach der Verortung simpel beantworten lässt: Springfield ist überall. Die Kleinstadt dient als das auf einen einzigen Ort konzentrierte Abziehbild der US-Gesellschaft mit all ihren bunten, wie zugleich tragischen Facetten. Nirgendwo sonst könnten der Evangelikale Simpsons-Nachbar Ned Flanders, der traurige jüdische Clown Krusty und der hinduistische Supermarktbetreiber Apu Nahasapeemapetilon auf so engen Raum aufeinandertreffen. Überhaupt fragt sich der Zuschauer nach 25 Staffeln (die 26. startet in den USA am 28. September), ob es in dieser gottesfürchtigen, wie zugleich gottlosen Stadt samt eines korrupten aber dennoch immer weiter regierenden Bürgermeisters und der italienischen Mafia überhaupt einen Atheisten gibt, der nicht als überzeichnetes Sinnbild des guten, wie schlechten Amerikas in all seinen Schattierungen dient.
Allzu große Radikalität in Sprache und Gestus zeichnete »Die Simpsons« allerdings nie aus, was die Serie von anderen ähnlich angelegten Zeichentrickkonkurrenten wie »American Dad« oder »Family Guy« bis heute unterscheidet. An die anarchistische Themensetzung von Serien wie »South Park« reicht die stets auf die Versöhnung mit dem Zuschauer ausgerichtete Mittelschichtfamilie nicht heran. Während in Colorado ein achtjähriger Junge namens Cartman als selbst ernannte Reinkarnation Hitlers eine ganze Stadt terrorisieren kann, darf der im Vergleich dazu allenfalls lausbubenhaft wirkende Simpsons-Nachwuchs Bart in einer Episode höchstens die zu einem Jahrmarktevent verkommene Limousine des »Führers« zu Schrott demolieren.
In solchen Szenen zeigt sich die Stärke und zugleich größte Schwäche der Serie: Durch ihre Vielseitigkeit an über die Jahre dauerhaft etablierten Charakteren ist die Bandbreite der theoretisch erzählbaren Geschichten auf ein Ausmaß angewachsen, dass nach 552 Folgen eine gewisse Beliebigkeit bei den Simpsons eingekehrt ist. Besonders ältere Fans bemängeln, in Springfield habe der unterschwellige, eher tiefsinnige Humor schon vor Jahren einer schleichenden Etablierung des Slapstick Platz gemacht.
Während die Grenzen der Stadt unklar bleiben, ist die Orientierung an der Realität äußerst eng umrissen. Es gibt schon in der inneren Logik der Serie angelegte Schwellen, die die Serie auch in Zukunft allenfalls in ihren Spezialausgaben zu Halloween überschreitet. Obwohl sich Atomtechniker Homer Simpson mehrfach als desaströse Fehlbesetzung für die Stelle des Sicherheitsbeauftragten im Kernkraftwerk herausstellt, wird das beschauliche Springfield nicht nur aus dramaturgischen Gründen niemals als ein zweites Tschernobyl oder Fukushima enden. Derartig dramaturgische Spitzen können sich die Simpsons bei aller ansonsten offensichtlicher liberaler Gesellschaftskritik nicht leisten, allein weil der US-Kulturindustrie sonst wohl ein wichtiger korrigierender Faktor im Mainstream verloren gehen würde.
Start der 25. Staffel auf Pro 7: 1. September.
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