»Überwachung ist ein Kampfbegriff«

Am Samstag findet in Berlin die »Freiheit statt Angst«-Demo statt

  • Anne Roth
  • Lesedauer: 4 Min.
Anne Roth bewegt sich seit 1988 in Berlin. Früher Hausbesetzerin, jetzt Medien- und Netzaktivistin, auch Mutter. Im Rahmen ihrer Arbeit beim Tactical Technology Collective berät sie zu Digitaler Sicherheit.
Anne Roth bewegt sich seit 1988 in Berlin. Früher Hausbesetzerin, jetzt Medien- und Netzaktivistin, auch Mutter. Im Rahmen ihrer Arbeit beim Tactical Technology Collective berät sie zu Digitaler Sicherheit.

Überwachung sei ein Kampfbegriff, antwortete der Innenminister auf die Frage, wieso das Wort »Überwachung« in der »Digitalen Agenda« der Bundesregierung, die vergangene Woche vorgestellt wurde, nicht einmal vorkommt. Mein Eindruck ist ja eher, dass alle, die sich mehr oder weniger kämpferisch mit dem Thema Überwachung beschäftigten, inzwischen eingeschlafen sind, mit Ausnahme einiger Aufrechter.

Die Regierung findet jedenfalls, es sei jetzt mal Zeit für ein Machtwort. Genug genörgelt, seit über einem Jahr geht das jetzt so, seit Snowden Anfang Juni 2013 die große Bühne betreten hat. Woche für Woche Artikel über NSA, GCHQ, BND, über die Handys der Kanzlerin, wer welche Mails liest oder wenigstens lesen könnte, die Bedeutung von Algorithmen für die Menschheit im 21. Jahrhundert. Selbst Sascha Lobo, der seit einem Jahr Woche für Woche eine Spiegel-Online-Kolumne zum immer gleichen Thema schreibt – genau, Überwachung – hat mal vorsichtig bei den Leser_innen nachgefragt, was sie davon halten, dass er nur darüber schreibt. Bedenkliches kam zum Vorschein: »Nun ja. Natürlich ist die antidemokratische Totalüberwachung der Welt per Internet das Überthema unserer Dekade. Aber wenn zum Beispiel nur jede zweite Kolumne die neuen Entwicklungen in diesem Bereich beleuchtet, führt das sicherlich beinahe ebenso schnell zur notwendigen Reform von NSA, BND und Co.« war mit 38 Prozent die am häufigsten geklickte Antwort auf die Frage, ob er auch mal wieder über was anderes (Digitales) schreiben solle.

Obwohl sonst mit viel Engagement ein ums andere Mal wiederholt wird, dass sich niemand für das Thema interessiere, wollen die Menschen also offenbar nicht davon ablassen.

Kein Wunder, dass De Maizière die Nase voll hat und quasi nebenbei erklärt, dass alle, die jetzt weiter darauf rumreiten, demnächst mit dem Stempel »extremistisch« versehen werden. Damit das nicht so platt rüberkommt, hat er die Botschaft mit ein bisschen humanistischer Bildung garniert: »Also müssen wir mal mit diesen mystischen Begriffen aufhören. Überwachung heißt auf Lateinisch Supervision, das ist ein ehrenhafter Beruf.«

Eben. Und warum das so viele Leute gar nicht ehrenhaft finden, war dem Minister vielleicht einfach nicht bekannt. Um noch einen Begriff zu klären: ›Ignorieren‹ kommt vom lateinischen ›ignorare‹, und das heißt auf Deutsch ›nicht wissen‹. Letzteres unterstellt er auch gern den Gegner_innen der Überwachung, das wird aus der zweiten Hälfte des »Kampfbegriff«-Zitats deutlich: »Also, das ist ein Kampfbegriff, der hier in der digitalen Agenda nichts zu suchen hat und nicht verwechselt werden darf mit der ganz normalen Aufgabe für Sicherheit zu sorgen in jeder Form von Kommunikation und Straftaten wo auch immer sie begangen werden auch zu verfolgen.«

Um wessen Sicherheit es geht, erläuterte der neben ihm sitzende Minister Gabriel: »Erstens das Thema Überwachung taucht nicht auf, weil es nicht Auftrag der digitalen Agenda ist, sondern da steht etwas drin über Datensicherheit. Und das, glaube ich, ist unser Job, sowohl für den Bürger als auch dafür zu sorgen, dass unser Land ein Land ist, bei dem Unternehmen jedenfalls ein möglichst hohes Maß an Sicherheit darüber haben können, dass die Daten die für sie wichtig sind auch sicher sind...«

Die wollen uns – genau genommen die Unternehmen – bloß beschützen vor der bösen Cyberkriminalität! Und die ist gefährlich: 30 Millionen Betroffene letztes Jahr, teilten BKA und BITKOM (IT-Unternehmensverband) am Mittwoch mit. Allerdings haben auch sie etwas ignoriert: In der vorgestellten Studie wird Cyberkriminalität als ›kriminelle Vorfälle im Internet‹ definiert. Und darunter fallen etwa auch Computerviren, die allein 40 Prozent der Cyberverbrechen ausmachen. Betrug bei Online-Shoppen kam nur in 14 Prozent der Fälle vor, Betrug beim Online-Banking sogar nur 4 Prozent.

Wer jetzt den Eindruck hat, dass noch ein bisschen Kampf nötig ist, um die Regierung zum Einlenken in diesen Fragen zu bewegen, hat am Samstag die Gelegenheit, die schon traditionelle »Freiheit statt Angst«-Demo gegen Überwachung in Berlin zu besuchen:

»Freiheit statt Angst«, 14 Uhr, Brandenburger Tor.

freiheitstattangst.de

Alle Ministerzitate aus: Die besten Fragen und Antworten zur Präsentation der Digitalen Agenda, netzpolitik.org, 21. August 2014

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.