Aufnahmenotstand in Bayern
Flüchtlinge können im Freistaat kaum mehr untergebracht werden / Grüne fordern Gipfeltreffen
München/Nürnberg. Die Flüchtlingssituation in Bayern wird immer dramatischer. Die Erstaufnahmeeinrichtung in Zirndorf platzt längst aus allen Nähten und trotzdem kommen immer weiter neue Asylbewerber hier an. Händeringend sucht die Regierung von Mittelfranken nach neuen Unterkünften für die Menschen. Auch eine Beschlagnahme von Hallen wird inzwischen nicht mehr ausgeschlossen. Grüne und SPD forderten Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) auf, die Flüchtlingspolitik endlich zur Chefsache zu machen. Sozialministerin Emilia Müller (CSU) forderte im »Münchner Merkur« (Freitag) einen neuen EU-Kommissar für Asylbewerber und Flüchtlinge.
Von Montag bis Donnerstag sind mehr als 1000 Asylbewerber neu in Zirndorf angekommen, sagte der Sprecher der Regierung von Mittelfranken, Michael Münchow, am Freitag. Etwa die Hälfte der Menschen wurde in andere Bundesländer weitergeleitet. Die anderen etwa 500 sind im Freistaat geblieben. Die Bundespolizei in Rosenheim griff am Mittwoch und Donnerstag erneut mehr als 100 Flüchtlinge in Zügen aus Italien auf. Alle Asylbewerber werden derzeit nach Mittelfranken geschickt, weil die Münchner Bayern-Kaserne wegen Masern seit einer Woche geschlossen ist.
In Zirndorf waren am Freitag etwa 1800 Menschen. Ausgelegt ist die dortige Einrichtung für nur 650 Menschen. Es sei »nochmals nachverdichtet worden«, nachdem die Einrichtung eigentlich längst überbelegt ist. Will heißen: Es wurde auch »der letzte Gang und Treppenabsatz mit Matratzen ausgestattet«. Münchow sagte: »In Zirndorf ist die Grenze jetzt langsam erreicht.«
Um die Not der Flüchtlinge zu lindern, müssten nun sofort Ressourcen des Landes genutzt werden - etwa staatliche Immobilien, forderte die Fraktionsvorsitzende der Landtagsgrünen, Margarete Bause. Auch Gebäude des Bundes sollten einbezogen werden. »Wir fordern Horst Seehofer auf, sofort ein Gipfeltreffen zur Flüchtlingssituation in Bayern einzuberufen und die Spitzen der Regierungsbezirke und Vertreter der Kommunen sowie alle Organisationen, die in der Flüchtlingshilfe engagiert sind, an einen Tisch zu holen.« Die sozialpolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion, Angelika Weikert, äußerte sich ähnlich.
CSU-Chef Seehofer hatte der »Süddeutschen Zeitung« (Freitag) gesagt: »Neben der labilen Weltlage ist das Flüchtlingsdrama für mich die politische Herausforderung mit erster Priorität.« Er werde auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am Sonntag darauf ansprechen.
Bause betonte: »Nicht nur die Verhältnisse in Zirndorf sind unwürdig und eine Schande für das reiche Bayern. Empörend ist vor allem auch die Tatsache, dass Ministerpräsident Seehofer das drängendste politische Problem im Freistaat glatt ignoriert.« Täglich äußere er »Belanglosigkeiten« zur Pkw-Maut »während die Erstaufnahmen überquellen, Matratzenlager an den unmöglichsten Orten entstehen und die hygienische und medizinische Grundversorgung nicht gewährleistet ist«.
Die Regierung von Mittelfranken sucht derweil weiter nach Hallen, in denen die Menschen vorläufig untergebracht werden können. Ein Zelt für 100 Menschen im Nürnberger Süden sollte doch schon am Freitag in Betrieb genommen werden. Bei den Sanitäranlagen müsse man sich vorläufig notdürftig behelfen. »Es hilft nichts«, sagte Münchow. Ein zweites, gleich großes Zelt im Westen der Stadt sollte von Freitagabend oder Samstagmorgen an belegt werden. Wenn die Zahl der Neuankömmlinge so hoch bleibe und nicht rasch neue Unterkünfte gefunden werden, könnten auch Hallen beschlagnahmt werden. »Darüber wird derzeit nachgedacht«, sagte Münchow.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.