Wenn die Kirche zu teuer wird
Immer mehr Protestanten in Rheinland-Pfalz treten aus
Mainz. Der Trend ist unübersehbar: Immer mehr Protestanten in Rheinland-Pfalz treten nach Einschätzung der evangelischen Kirchen aus ihrer Gemeinde aus. Das ergab eine dpa-Umfrage. Oberkirchenrat Stephan Krebs von der Evangelischen Kirche Hessen-Nassau (EKHN) führt dies vor allem auf die Änderung des Kirchensteuereinzugs auf Kapitalerträge zurück. Ab 2015 führen die Banken die Kirchensteuer direkt auf die Kapital- und Zinserträge ihrer Kunden ab. Die Höhe der Steuer ändert sich zwar nicht. Bisher vertraut die Kirche jedoch auf die ehrlichen Angaben ihrer Mitglieder bei der Steuererklärung. Dieses Schlupfloch wird mit der Änderung geschlossen, zudem erhalten Banken Einsicht in die Religionszugehörigkeit ihrer Kunden.
»Wir haben es in seiner Heftigkeit unterschätzt«, sagte Krebs in Darmstadt. Die EKHN, die sich auch auf Rheinhessen und den Westerwald erstreckt, verlor im ersten Halbjahr dieses Jahres 8000 Mitglieder, auf das Jahr gerechnet deutet sich ein neuer Rekord an Austritten an. In durchschnittlichen Jahren verzeichnet die EKHN jährlich etwa 10 000 bis 11 000 Austritte bei 1,66 Millionen Mitgliedern. 2013 bewegte der »Limburg-Effekt« wegen des umstrittenen katholischen Bischofs Franz-Peter Tebartz-van Elst nach Krebs' Einschätzung 13 000 Menschen, auch der Evangelischen Kirche Hessen-Nassau den Rücken zu kehren. Ein Austritt sei keine spontane Handlung, sondern folge auf einen Anlass.
Auch der Evangelischen Kirche im Rheinland machen Kirchenaustritte weiter zu schaffen. Nach einer Hochrechnung seien 2013 gut 19 000 Menschen ausgetreten, teilte eine Sprecherin in Düsseldorf mit. Das seien 37 Prozent mehr als 2012. Für 2014 gebe es noch keine Zahlen: »Aber aus ersten Auskünften einzelner Verwaltungsämter können wir leider absehen, dass die Austritte auch in diesem Jahr in vergleichbarer Größenordnung zunehmen.« Es scheine so, dass das neue Steuerverfahren Anlass für Austritte sei. Die Evangelische Kirche im Rheinland zählte Anfang 2014 rund 2,7 Millionen Mitglieder. Vor zehn Jahren waren es 2,96 Millionen. Von rund 730 Kirchengemeinden vom Niederrhein bis an die Saar liegen etwa 180 in Rheinland-Pfalz.
In Rheinland-Pfalz nehmen die Einwohnermeldeämter Austrittsgesuche entgegen. Die Kirche versuche aber, über Gemeindebriefe, Homepages und in Gesprächen klarzumachen, dass es nicht um eine neue Form der Kirchensteuer gehe, sondern nur um ein vereinfachtes Verfahren, sagte Schumacher. Er verglich die aktuellen Austritte mit der Einführung des Solidaritätszuschlags Anfang der 1990er Jahre, dessen steuerliche Mehrbelastungen zahlreiche Kirchenmitglieder mit einem Austritt auffingen. »Die Erfahrung zeigt, dass sich bei Änderungen im Steuersystem allgemein oder bei zusätzlichen Belastungen in anderen Bereichen die Zahl der Kirchenaustritte erhöht.«
Der Bundesverband deutscher Banken steht der Änderung neutral gegenüber. »Das neue Verfahren wurde maßgeblich auf Initiative der Kirchen eingeführt«, teilte eine Sprecherin mit. Die Kreditinstitute seien nur durchleitende Instanzen. »Schon insoweit besteht für die Kreditinstitute keinerlei Veranlassung, in diesem Zusammenhang irgendwelche Empfehlungen auszusprechen.«
Inwieweit es auch bei der katholischen Kirche zu einer neuen Austrittswelle wegen der neuen Steuerregelung kommt, ist bisher unklar. Sie veröffentlicht nur einmal jährlich ihre Mitgliederzahlen. Die katholischen Bistümer in Rheinland-Pfalz klagten einhellig über viele Austritte 2013. dpa/nd
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.