Keiner hört den Kindern zu

UNICEF-Studie bemängelt die Behandlung von Minderjährigen im deutschen Asylsystem

  • Thomas Klatt
  • Lesedauer: 4 Min.
Die speziellen Bedürfnisse von geflüchteten Kindern und Jugendlichen werden in Deutschland kaum berücksichtigt.

Die aktuelle UNICEF-Studie zur Situation von schätzungsweise derzeit 65 000 Flüchtlingskindern in Deutschland ist nichts weniger als eine riesige Ohrfeige für Bund, Länder und Kommunen. Denn obwohl die Bundesrepublik schon 1990 die UN-Kinderrechtskonvention unterzeichnet hat, setzt sie deren Vorgaben nicht um. Das Kindeswohl würde in der Regel nicht beachtet. Und Kinder, das sind nach UN-Definition Menschen bis zum 18. Lebensjahr. »Im Bereich des Asyl- und Aufenthaltsrechts haben wir immer wieder festgestellt, dass Kinder wenig gehört werden, dass ihre Perspektiven wenig wahrgenommen werden, dass Untersuchungen zu kindesspezifischen Fluchtgründen fehlen«, beklagt Thomas Berthold, Autor der Studie und Referent beim Bundesfachverband Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge.

Die Angst, als Kindersoldat zwangsrekrutiert zu werden, oder die Gefahr von Beschneidungen oder Zwangsverheiratungen in ihrer Heimat sind oft Fluchtgründe, die von deutschen Behörden viel zu wenig beachtet und gehört würden. Es fehlten in den deutschen Behörden und Ämtern oftmals Mechanismen, Kinder und Jugendliche adäquat anzuhören, sie konkret darüber zu informieren, in welchen Prozeduren und Verfahren sie sich genau befinden, damit sie eine Möglichkeit haben, selbstbestimmt daran teilzunehmen, bemängelt Berthold.

Kinder und Jugendliche würden oft nur als Anhängsel ihrer Eltern behandelt, ohne selbst in Asylverfahren gehört zu werden. Oftmals müssten sie zwar für ihre Familien die Rolle als Dolmetscher oder Mittler einnehmen. Die staatlichen Stellen seien aber meist viel zu wenig auf die Beratung und Betreuung von Kindern und Jugendlichen eingestellt. In den Asyl-Massenunterkünften herrsche oftmals drangvolle Enge. Vor allem Pubertierende litten da an der mangelnden Privatsphäre. Die medizinische Versorgung der Mädchen und Jungen sei oft nur auf die Behandlung »akuter Erkrankungen und Schmerzzustände« reduziert. Jede weitergehende Untersuchung und Behandlung bedürfe erst einer behördlichen Genehmigung. Psychosoziale Hilfen, um seelische Traumata zu lindern, seien kaum erreichbar, obwohl die Ungewissheit, ob sie bleiben können oder ausgewiesen werden, den Kindern oft zusätzlich schade.

Im Asylbewerberleistungsgesetz sei zudem das Sachleistungsprinzip verankert. Kommunen könnten Essenspakete an Flüchtlinge verteilen, statt ihnen eine eigenständige Versorgung zu ermöglichen, indem ihnen einfach Bargeld ausgezahlt werde, damit sie sich eigens Essen kaufen könnten. Eine kindgerechte Ernährung sei aber so nicht immer möglich. Auch ermögliche das Gesetz Sanktionen, um Leistungen auf ein Minimum zu reduzieren. Von diesen Einschränkungen seien die Kinder besonders stark betroffen, bemängelt die Studie. Flüchtlingskinder in Deutschland müssten zudem manchmal monatelang warten, bevor sie in eine Kita und vor allem in eine Schule gehen könnten, obwohl ihnen dies zusteht. Die Einschulung in eine deutsche Schule stelle somit für Flüchtlingskinder eine große Hürde dar. Es stünden nicht genügend Schulplätze und nicht genügend passende Sprachlernangebote zur Verfügung. Auch die Kinder- und Jugendhilfe erreiche Flüchtlingskinder oft nicht und nehme sie als Zielgruppe nicht wahr.

»Kinder bleiben aber Kinder, auch wenn sie auf der Flucht sind. Und sie verlieren diesen Status als Kind nicht, wenn sie ihre Heimat verlassen müssen. Jeder Mensch bis zum Alter von 18 ist ein Kind im Sinne der UN-Kinderrechtskonvention«, sagt Anne Lütkes, Vorstandsmitglied von UNICEF Deutschland.

Im deutschen Ausländer- und Asylrecht aber werden Menschen schon ab dem 16. Lebensjahr nicht mehr als Jugendliche, sondern wie Erwachsene behandelt. Das aber müsse in Deutschland genau so geändert werden wie die mangelnde Betreuung für die Flüchtlingskinder, die mit einem unsicheren Aufenthaltsstatus meist auch noch Angst haben müssten, abgeschoben zu werden.

»Wir haben eigentlich das Schicksal von Kindern, die mit ihren Eltern hier nach Deutschland gekommen sind, überwiegend ausgeblendet und das zeigt aus meiner Sicht eine Mentalität, dass Kinder so was sind wie kleine Erwachsene. Aber die Kinder als eigenständige Persönlichkeiten auch in einem Familienverbund werden eben nicht berücksichtigt«, sagt Christoph Strässer, Beauftragter der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe. Er fordert von der Politik daher die Abschaffung der in der UNICEF-Studie aufgezählten Mängel und konkrete Verbesserungen für die Kinder von Flüchtlingen in Deutschland.

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