Henry oder Henriette
Geht es nach der hessischen Agrarministerin Priska Hinz (Grüne), dann sind für Henry nun bessere Tage angebrochen. Henry könnte auch Peter heißen oder Klaus – einen richtigen Namen bekommt das gelbe Häuflein Leben in aller Regel von seinen Besitzern nicht zuerkannt. Selbst eine Nummer bleibt ein unerfüllter Traum, denn es sind einfach zu viele Brüder, mit denen Henry, Peter oder Klaus ihr kurzes Dasein zwischen Brutkasten und Todesangst verbringen. Zehntausende Eintagskücken werden jeden Tag in Deutschland geboren. Allein 30 Millionen Küken sind es jährlich in Hessens größter Brüterei.
Ihr Schicksal wird durch die simple Bestimmung des Geschlechtes besiegelt. Sekundenbruchteile, die über Vergasung als unnützes Wesen oder den Status als erwünschtes Produktionsmittel entscheiden. Wäre Henry als weibliches Tier auf die Welt gekommen, würde Henriettes Weg vom warmen Brutkasten direkt in eine anonyme Halle irgendwo auf dem Lande, in der sie zusammen mit zehntausenden Schwestern ein kurzes Leben von etwa 18 Monaten unter laborähnlichen Bedingungen führen. Kontrollierte Tages- und Nachtzeiten ohne einen einzigen Sonnenstrahl, exakt kalkulierte Futterzufuhr, Enge, Hitze, Antibiotika, damit der auf Effizienz getrimmte Körper nicht vorzeitig schlapp macht. Bis zum Ende ihres Lebens legt Henriette 450 Eier, bis sie schließlich nicht mehr die von ihrem Besitzer erwünschte Leistung erbringt und als ausgemergeltes Suppenhuhn für wenige Cent beim Schlachter landet.
Ein Leben, glaubt man vielen Tierschützer, die sich dieser Tage über das hessische Verbot des Tötens von Eintagsküken freuen, dass doch vermeintlich so viel besser wäre als das von Henry dem Eintagsküken. Generationen von Züchtungen haben aus einem Huhn, das in der Natur ursprünglich kaum mehr als ein Dutzend Eier im Jahr legte, ein Hochleistungsgeschöpf hervorgebracht. Ein Frankensteinmonster, optimiert auf immer mehr Eier, aber als Lieferant für Hühnerfleisch praktisch ungeeignet, weshalb alle männlichen Hühner in der Regel direkt nach der Geburt den Tod durch Vergasung oder den Hechsler finden.
Eine unvergleichbar grausame Behandlung, wie jetzt auch das hessische Agrarministerium erkannte. Die Lösung: Hühnerzüchter dürfen die männlichen Nachkommen der Legehühner nicht mehr töten. Doch was zunächst wie ein Erfolg für die Tiere klingt, dürfte die Industrie nur kurzfristig in Not bringen. Es mag wie eine Stoppsignal unnötiger Qualen aussehen, doch letztlich folgt auf den schnellen Tod schon bald ein langsames Sterben. Hühner gelten trotz aller Beteuerungen des Tierschutzgesetzes immer noch als Wegwerfware ohne eigene Rechte, daran ändert sich auch durch das Tötungsverbot nichts. Längst forschen die Produzenten an der idealen Hühnerrasse, aus deren sowohl weiblicher wie männlicher Nachkommen sich wahlweise das Optimum an Eiern oder Fleisch herausholen lässt. Selbst wenn durch die hessische Entscheidung die Kosten pro Huhn um einige Cent steigen sollten, ändert sich für die Tiere praktisch nichts an ihrem Schicksal. Für die Tierrechte handelt es sich zu Ende gedacht sogar um einen Rückschlag. Der schnelle Tod wird lediglich durch ein Ausweiten der Ausbeutung ersetzt. In Anbetracht einer natürlichen Lebenserwartung von 20 Jahren ist der Unterschied zwischen einem Tag Leben, sechs Wochen Qualzucht oder ein halbes Jahr im Biobetrieb als Masthuhn kaum noch zu erkennen.
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