Schock, Tränen und Erleichterung nach mildem Pistorius-Urteil

Sportstar drohen nach Urteil wegen farlässiger Tötung bis zu 15 Jahre Haft / Strafmaß wird am 13. Oktober verkündet

  • Carola Frentzen, dpa
  • Lesedauer: 4 Min.
Für die Richterin war es fahrlässige Tötung. Nach über sechs Monaten und 42 Prozesstagen ist Oscar Pistorius einer Verurteilung als Mörder entgangen. Viele sind erstaunt über die Milde des Urteils - und andere richtig wütend.

Pretoria. Die Spannung war mit Händen zu greifen, als Richterin Thokozile Masipa ihr Urteil gegen Oscar Pistorius sprach. »Schuldig der fahrlässigen Tötung«, entschied die 66-Jährige am Freitag. Für den 27-jährigen Paralympics-Star hätte der Prozess weit dramatischer ausgehen können, dennoch droht ihm im schlimmsten Fall eine langjährige Gefängnisstrafe. Der eigentliche Verlierer des Prozesses ist aber Chefankläger Gerrie Nel. Die Ausführungen der Richterin kamen einer Demontage der Staatsanwaltschaft gleich.

Mehrmals bezweifelte Masipa mit scharfen Worten die Glaubwürdigkeit von Zeugen der Anklage. Nel sei es zudem nicht gelungen, zweifelsfrei zu beweisen, dass Pistorius in der Nacht zum Valentinstag 2013 kaltblütig seine Freundin Reeva Steenkamp töten wollte. Nachlässig, fahrlässig habe er gehandelt - das ja. Aber ein Mörder sei er nicht. Im zum Bersten gefüllten Gerichtssaal schüttelten viele mit dem Kopf.

Die Staatsanwaltschaft sei enttäuscht, sagte der Sprecher der Behörde Nathi Mncube. »Aber erst, nachdem das Strafmaß feststeht, können wir unsere Möglichkeiten abwägen und schauen, ob es weitere Schritte geben kann.« Berufung legt in Südafrika normalerweise nur die Verteidigung ein, jedoch hat auch die Anklage dazu die Möglichkeit, wenn sie einen Verfahrensfehler vermutet.

Bei der Bekanntgabe des Urteils ging ein Raunen durch den Saal. Pistorius wirkte gefasst und schien sich vor der Richterin zu verbeugen. Schock auf der einen Seite und Erleichterung auf der anderen, die Emotionen waren fast greifbar. Steenkamps Eltern Barry and June trugen die Entscheidung aber sehr gefasst. Der Vater verließ das Gericht schon nach wenigen Minuten mit hängenden Schultern, nachdem Nel kurz Blickkontakt mit ihm gesucht hatte - fast, als wolle er sich bei ihm für seine offensichtlich wenig brillante Leistung vor Gericht entschuldigen. Die Mutter nahm eine schluchzende Angehörige tröstend in den Arm und flüsterte ihr zu »Du musst nicht weinen! Du musst nicht weinen!«

Auch zahlreiche Südafrikaner sind wütend über die Milde der Richterin. »Das Urteil zeigt eins ganz deutlich: Wenn jemand in diesem Land Geld hat, dann steht er über dem Gesetz«, ärgerte sich Jason Fernandes (33) aus Johannesburg. »Wenn Oscar so arm wäre wie alle anderen, dann wäre er des Mordes für schuldig befunden worden.«

Tandi Botha (27), die vor dem Gericht in Pretoria auf das Urteil wartete, ist überzeugt, dass die Entscheidung anderen Männern eine Rechtfertigung für Gewalt an Frauen geben könnte. »Missbrauch an Frauen ist ein großes Problem in Südafrika«, sagte sie verstimmt. »Jetzt können Männer ihre Freundinnen erschießen und erklären, sie hätten gedacht, es sei ein Einbrecher im Haus - und schon werden sie vom Vorwurf des Mordes freigesprochen.« Das sei ein schlechter Präzedenzfall.

Pistorius hatte die Tat damit begründet, dass er im Bad einen Verbrecher vermutete und um sein Leben fürchtete. Die Richterin glaubte dieser Version, auch weil der beinamputierte Sportler selbst die Hilfskräfte alarmiert und sie angefleht hatte, Steenkamps Leben zu retten. Jedoch warf sie ihm vor, übereilt gehandelt zu haben. Statt per Handy die Sicherheitskräfte zu informieren oder vom Balkon um Hilfe zu schreien, habe er gleich zur Waffe gegriffen, monierte sie.

»Wie kann man annehmen, dass einem Schützen im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte, der seine Waffe viermal hintereinander abfeuert, nicht klar gewesen sei, dass er damit einen Menschen töten kann?«, schrieben die deutschen Anwälte Thomas Schulte und Erik Olaf Kraatz in einer Mitteilung. Nach deutschem Recht wäre Pistorius wegen vorsätzlicher Tötung verurteilt worden, meinen sie. Für den südafrikanischen Anwalt Keith Gess ist der Ausgang des Verfahrens »das Beste, auf das Pistorius hoffen konnte«.

Wenn er Glück hat, dann könnte der Sportler sogar nach wenigen Jahren wieder in Freiheit sein - oder gar zu einer Bewährungsstrafe verurteilt werden, meinen Experten. Seine Karriere als Sprinter ist aber wohl dennoch am Ende und sein Status als beliebtes Sportidol zerstört. dpa/nd

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.