Digitale Menschenjagd in Duisburg
Hass gegen Einwanderer und die Mär von Kindesentführungen als Facebook-Hit
Der »Steckbrief« hängt nicht am nächsten Straßenbaum in Duisburg-Neumühl, sondern wurde über das soziale Netzwerk Facebook verbreitet. Zu sehen ist ein verwackeltes Foto zweier dunkelhaariger Frauen, die einen Schleier tragen. Angeblich Roma. »Diese Missgeburten haben heute in Neumühl versucht ein kind zu entführen«, ist darunter zu lesen. »Haltet bitte die augen offen!!!! Dreckspack!!!!«.
Die Polizei weist die Geschichte, die das uralte Stereotyp vom Kinder entführenden »Zigeuner« bedient, ins Reich der Legenden. Doch die Facebook-Hetze verfehlt ihren Zweck nicht: »Ab nach Auschwitz«, »vergewaltigen«, »Ab inne Gaskammer«, so lauten Kommentare unter dem »Steckbrief«. Über 6000 mal wurde er binnen weniger Tage geteilt, also von anderen Nutzern verbreitet. Ein tumber Flächenbrand des Hasses, keine Rücksicht nehmend auf Recht, Logik und Orthografie.
Duisburg zählt zu jenen Städten, die besonders stark von der Zuwanderung der osteuropäischen Armutseinwanderer betroffen sind. Überregionale Schlagzeilen erzeugte im letzten Jahr der Konflikt um ein mit hunderten Roma völlig überbelegtes sogenanntes Problemhaus im Stadtteil Rheinhausen.
Längst ist es vielen Duisburgern egal, wer zu ihnen kommt, ob Kriegsflüchtlinge, ob »die Zigeuner« - weg damit, so lautet die Stimmung vieler. Bahn brach sich der urdeutsche Unmut Ende letzter Woche auf einer Bürgerversammlung zu einem Flüchtlingswohnheim in Neumühl, auf der auch der Vater des angeblich beinahe entführten Kindes (»Was soll der Kack?«) sprach. Er wurde bejohlt und bejubelt. Unlängst gründete sich eine Facebook-Gruppe »Kein Asyl in Duisburg«, die vor allem gegen Roma vorgehen will - auch wenn die keine Asylbewerber sind, sondern als EU-Bürger in Duisburg leben. Über 350 Fans hat die Seite bereits nach wenigen Tagen gefunden. Natürlich docken auf den rassistischen Bürgerzorn auch NPD und Rechtspopulisten an.
SPD-Oberbürgermeister Sören Link wollte derweil ankommende Flüchtlinge in Zelten unterbringen. Dabei stehen in Duisburg hunderte Wohnungen leer, darunter viele städtische.
Am Donnerstag vergangene Woche gingen erste Strafanzeigen gegen den Roma-»Steckbrief« ein. Doch erst am Montagnachmittag - wenige Stunden nach einer nd-Anfrage an das NRW-Innenministerium - ging die Hetzseite offline. Die Polizei habe einen Tatverdächtigen ermittelt und ihn angewiesen, die Seite zu löschen, heißt es nun. Ein Ermittlungsverfahren unter anderem wegen des Verdachts der Volksverhetzung wurde eröffnet. Auch sucht die Polizei nach einigen der Kommentatoren, ist aus Sicherheitskreisen zu erfahren.
Duisburg ist ein extremer, aber kein Einzelfall. So kursierte im letzten Winter eine Geschichte, laut der in einem Bekleidungsgeschäft ein Zweijähriger von Roma entführt wurde, die ihrem angeblichen Opfer in einer Umkleidekabine die Haare abrasierten, damit es nicht mehr als Deutscher erkennbar ist. In anderen Versionen spielte sich der Vorfall in einem Möbelhaus oder Supermarkt ab. Eigentlich blieb nur eines gleich: Die Geschichte soll sich im ostwestfälischen Gütersloh zugetragen haben.
Schließlich sah sich die lokale Polizei genötigt, offiziell klarzustellen: Es handelt sich um eine »Räuberpistole«, die jeglicher Grundlage entbehre. Ein ähnlicher Fall spielte sich auch unlängst in Kaiserslautern ab.
Meist wird als Grund für die angeblichen Entführungen angegeben, die Täter wollten die Organe ihrer Opfer verkaufen. Die Horrorstorys aus Gütersloh und Kaiserslautern werden nun von den anständigen Deutschen in Duisburg-Neumühl aufgegriffen: als scheinbarer Beleg für die Plausibilität ihrer Vorwürfe.
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