Gentlemen hinter Panzerglas

Drei Männer aus dem Rockermilieu sind wegen Mordes angeklagt

  • Peter Kirschey
  • Lesedauer: 3 Min.
Wenn zum Jahresende das Urteil im Namen des Volkes gesprochen wird, dann muss es nach dem Willen der Staatsanwaltschaft die Höchststrafe geben: lebenslänglich.

Drei Männer sind des gemeinschaftlichen Mordes angeklagt. Eine Tat, die vor einem Jahr Prenzlauer Berg erschütterte. In den frühen Morgenstunden des 1. September wird der 39-jährige Türsteher Sebastian K. vor dem »Soda Club« auf dem Hof der Kulturbrauerei mit vier Schüssen niedergestreckt. Er stirbt nach zwei Stunden um 7.13 Uhr im Krankenhaus. Zunächst tappt die Polizei im Dunkeln, die Ermittlungen führen in das Rockermilieu. Dann kommt der entscheidende Hinweis von einem Aussteiger des Rockerclubs »Hells Angels«, er nennt Namen und Hintergründe. Er sitzt wegen schwerer Straftaten in Untersuchungshaft, hofft auf Milde.

Ende März werden zwei der mutmaßlichen Täter von einem Spezialkommando auf offener Straße gefasst, der dritte stellt sich der Polizei. Laut Anklageschrift ist der 31-jährige Rene P. der Haupttäter, er gab die tödlichen Schüsse ab. Der 28-jährige Dennis Sch. soll die Gegend um den Club abgesichert und der 32-jährige Thomas F. das Fluchtfahrzeug gesteuert haben. Für P. hält die Staatsanwaltschaft noch weitere Anklagen bereit. So soll er an einem missglückten Mordanschlag auf einen »Bandido«-Boss beteiligt gewesen sein. Außerdem soll er seine damalige Freundin, die mit 15 000 Euro in der Handtasche spazieren ging, ausgeraubt haben.

Hells Angels in Berlin

In Deutschland gibt es nach Einschätzung des Bundeskriminalamts (BKA) etwa 8000 Rocker. Der Motorradclub der Hells Angels hat Schätzungen zufolge rund 1000 Mitglieder. In Berlin sind es laut Polizei etwa 500, insgesamt gehören in der Hauptstadt rund 1000 Personen der Rockerszene an. In Brandenburg geht die Polizei von derzeit etwa 300 Rockern aus, rund die Hälfte von ihnen sind Hells Angels.

Die »Höllenengel« gelten als mächtigster und mitgliederstärkster Rockerclub weltweit. Sie wurden von Kriegsveteranen in Kalifornien 1948 gegründet. Der Name stammt von einer Bomberstaffel, ihr Emblem ist der geflügelte Totenkopf. Aus der Gruppe von Harley-Davidson-Fans wurde eine straff geführte Organisation mit Mitgliedern in rund 30 Ländern. Der erste deutsche Ableger entstand 1973. Laut Polizei kontrollieren die kriminellen Rockerbanden Teile des Drogenhandels und sind im Geschäft mit der Prostitution und im Waffenhandel aktiv. dpa/nd

 

Der Mord hat eine Vorgeschichte: Am 18. August wollen fünf Rocker des »Red Devils MC«, mit den »Hells Angels« eng verbandelt und im brandenburgischen Seelow ansässig, in den Nachtclub an der Sredzkistraße. Man verweigert ihnen den Einlass. Der Streit eskaliert, es kommt zu einer wüsten Schlägerei, die Rocker müssen sieglos das Kampffeld räumen. So etwas darf sich ein echter »Hells Angel« nicht bieten lassen. Die drei sollen nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft einen Racheplan ausgeheckt haben, obwohl sie mit der Schlägerei nichts zu tun hatten und auch den Türsteher nicht persönlich kannten. Ob sie den Auftrag zum Mord erhielten oder ob sie sich einen Aufstieg in der Hierarchie der Motorradgang erhofften, ist ungeklärt.

P. erscheint vor Gericht in schwarzem Anzug, sein Rockerkollege Sch. begnügt sich mit einer Trainingskluft. Beide sitzen hinter schwerem Panzerglas. Der dritte im Bunde, der mutmaßliche Tatfahrer F., darf neben seinen Verteidigern Platz nehmen, er sitzt nicht in Untersuchungshaft. Nach seinen Aussagen bei der Polizei hat er nichts von dem Mordkomplott gewusst. Alle drei entsprechen dem Klischee der Rockertypen: kahlgeschoren und fitnessstudiogestählt. Während der Dressman die Aussage verweigert, lässt der Knitterkollege erklären, er sei an der Tat nicht beteiligt gewesen. Auch der mutmaßliche Fahrer schweigt.

Schweigen gehört zum eisernen Gesetz der kriminellen Motorradszene. Wer plaudert, ist ein Verräter. Vor zwei Jahren wurde die graue Eminenz der »Angels« mit sieben Schüssen vor der Kneipe »Germanenhof« in Hohenschönhausen schwer verletzt. Als Auftraggeber wurde der Ex-Rocker-König ermittelt, der aus Frust über seinen Rausschmiss die Pistoleros angeheuert hatte. Doch als die Täter 2013 vor Gericht standen, wollte sich der niedergeschossene Angel an nichts erinnern. So ist das Gesetz.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -