Der Ton macht die Marschmusik
Einige Unionspolitiker flankierten den Staatsbesuch mit der Forderung, dass Frankreich seinen Haushalt sanieren müsse. Sparzwang sei notwendig. »Dringend notwendige Reformen« hörte man mehrfach. Am liebsten so, wie Deutschland Reformen umgesetzt hat, nämlich neoliberal. Aber so sagten sie das natürlich nicht. Auf jeden Fall würde das Nachbarland auf diese Art »schneller wettbewerbsfähig« werden. Es sollte sich ein Beispiel an den baltischen Staaten nehmen, denn die hätten »ihre Hausaufgaben« schon vor Jahren erledigt. Was abermals nicht gesagt wurde: Auch die wurden damals rein angebotsorientiert gemacht. Privatisierungen und Co. folgten. Jetzt, so die Kritiker, sei es jedenfalls an der Zeit zu handeln, denn »wir« hätten Frankreich lange genug Aufschub gewährt.
Während also einige besonders kluge Herren aus der Union eine mehr oder weniger radikale Therapie einfordern, mahnten Sozialdemokraten dazu, den Franzosen mehr Zeit zu gewähren. Eile sei jetzt nicht angebracht. Man könne Reformen nicht übers Knie brechen. Außerdem sollte man Frankreich zeigen, dass »wir die Anstrengungen anerkennen«. Letzteres sagte sogar die Kanzlerin.
Beide Seiten sind so sehr mit Frankreich beschäftigt, dass ihnen ihr Gutsherren-Unterton, das Joviale und Gnädige ihrer Ausführungen anscheinend gar nicht mehr auffällt. Sie streiten sich um nichts weniger als die Belange eines souveränen Staates. Erteilen ihm Vorschriften, Ratschläge und Anordnungen, als handle es sich um ein Schutzgebiet, für das man ethisch und moralisch zuständig sei. Zurückhaltung wird als Option gar nicht mehr in Betracht gezogen. Und so klingen auch die sozialdemokratischen Entkräftungen eher onkelhaft: »Lieber Franzosenbub, sei artig und lass dir mal den Kopf tätscheln. Gell, du machst später noch, was ich dir gesagt hab'?«
Es scheint, als bildeten sich Deutschland und sein Politikbetrieb ein, irgend so eine Art Sachverständigkeit in neoliberalen Reformen entwickelt zu haben. Denn »wir« haben schließlich Hartz IV erfunden, haben das Gesundheitswesen geschrumpft, einen Niedriglohnsektor angebahnt. »Deutschland war auch mal ein kranker Mann, liebe Franzosen und all ihr lieben Europäer. Aber wir haben es geschafft. Heute herrscht Aufschwung, fast alle haben Arbeit, die Deutschen sind glücklich wie nie.« Weil sie sich von Schröder schocktherapieren ließen, soll das nun alle Welt so tun. Hartz IV soll um die Welt gehen. Eine strikte Sparpolitik festschreiben, die Haushaltsdisziplin wahren. »Nehmt euch endlich ein Beispiel an uns!«
Natürlich, so direkt sagt es keiner. Man liest es nur zwischen den Zeilen. Das ist der unbeliebte Ton, den Deutschland heute nicht nur gegenüber den Franzosen anschlägt. In Griechenland klang er noch viel unfreundlicher. Spanier und Portugiesen kennen die Expertisen aus dem Land der Schocktherapeuten auch bestens. »In Europa wird wieder Deutsch gesprochen«, hat CDU-Fraktionschef Volker Kauder vor Jahren stolz verkündet. Das wäre ja an sich nicht so schlimm. Schlimmer ist eher, was in deutscher Sprache so geraten wird. Man greift in die nationalen Belange anderer Staaten ein, rät zu Maßnahmen, die die dortigen gesellschaftlichen Strukturen zersetzen und tut gerade so, als unterstehe etwa der griechische oder spanische Staatshaushalt der deutschen Regierung.
Klar doch, dass man manchmal auch die Zuständigkeiten anderer Volkswirtschaften bespricht. Aber dieser überhebliche Ton, der keinen Zweifel an den Expertisen aus deutschen Landen lässt und der immer so ein wenig herablassend klingt, wird immer unerträglicher. Der Ton macht die Marschmusik. Die Diskussionen um den französischen Staatsbesucher zeigen eigentlich nur, dass man hierzulande gar nicht mehr merkt, mit welcher Arroganz man in Europa und der Welt auftritt. Dieses Land hat jegliche multilaterale Sensibilität verloren.
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