Fotoshooting mit Pommes und Tourette
Für ein Pressefoto brauchen wir ein geradezu klassisches Motiv: Mann mit Pommes vor Kreuzung im Berliner Wedding. Der Pommesbudenwirt ist Routinier. Klar, Fotos, gerne doch. Ihn bringt nichts aus der Ruhe. Auch nicht seine Kundschaft. An einem der Stehtische ein älteres Paar, das uns misstrauisch mustert. Am zweiten Tisch eine Dreiergruppe, aus der einer laut ruft: »Fotze! Fotze! Arschloch! Tourette-Syndrom, vastehste?« Mir erschließt sich nicht, ob er daran leidet oder seinen Begleitern davon berichtet. »Arschkrampe! Wichser! Fotze!«, grölt es vom hinteren Tisch.
Es klingt ziemlich enthusiastisch. Jetzt bin ich sicher, dass er Tourette nur demonstrieren will. Das gibt es ja häufiger, dass Leute glauben, irgendwer habe davon noch nie gehört, und dann ganz begeistert endlich mal all die bösen Wörter sagen. Ist wahrscheinlich längst als Meta-Tourette-Syndrom in der Fachliteratur beschrieben.
»Tablett oder Teller?«, fragt der Imbisswirt. Ich schaue ihn überrascht an. »Hä?« »Na, hier: Papptablett oder«, er zeigt auf einen Geschirrstapel hinter sich, »Porzellanteller?« Ich bin verblüfft. »Seit wann habt ihr denn Geschirr.« »Tja«, strahlt er, »ist neu. Gut, oder?« »Papptablett, bitte«, sagt der Fotograf, »soll ja authentisch sein.«
»Was wird das denn, machste mit bei Deutschland sucht den Superstar, oder was?«, fragt der Mann vom Stehtischchen neben uns. »Nein, wir machen Pressefotos«, erläutert der Fotograf. »Presse? Das ist gut! Dann schreibense in die Presse mal rin, dass wir von Ausländern überrollt werden!« »Genau«, sekundiert seine Begleiterin, »das müssense da mal rinschreiben!« Dann dreht sie sich zum Imbisswirt und ruft ihm zu: »Nicht wahr, Ali?« Ali nickt ruhig. Der Gast bekräftigt noch einmal: »Geht doch alles den Bach runter hier. Nur noch Ausländer! Und der Euro!« »Allerdings!«, ruft die Frau, »der Euro ooch noch. Der wird uns noch alle ruinieren, nicht wahr, Ali?«
Ali steht ungerührt in seiner Bude und spritzt Mayonnaise auf die Pommes. »Ich hab die Schnauze voll«, fährt der Mann fort, »ich hau ab. Ein Jahr und zwee Monate noch, dann bin ich durch, dann mach ich die Biege. Ab nach Portugal. Da hab ick n Häuschen. Da isset schön. Schreibense das ma inne Presse: Dass alle abhauen wegen die Ausländer und dem Euro.« »Arschficken! Fotze, Fotze!« Der Typ einen Tisch weiter kriegt sich gar nicht wieder ein vor Begeisterung. »Nach Portugal, ja?«, sagt Ali ruhig, »wegen den Ausländern und dem Euro.« Es ist keine Frage, es ist eine Feststellung. »Arschlecken!«, brüllt es vom Tisch hinten.
»Und?«, fragt der Fotograf mich am Ende, »geht es hier als Nächstes los mit der Gentrifizierung?« »Ich weiß nicht«, überlege ich, »immerhin hat die Pommesbude jetzt richtiges Geschirr.«
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