Billig und brutal
Zwei weitere Fälle von Gewalt gegen Flüchtlinge durch Wachleute in Nordrhein-Westfalen / Behörden ermitteln
Der Skandal um Übergriffe von Mitarbeitern privater Sicherheitsdienste auf Flüchtlinge weitet sich aus. Am Montag wurden weitere Fälle in Nordrhein-Westfalen bekannt. In Bad Berleburg sollen zwei Sicherheitsleute einen Asylbewerber verletzt haben, die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen gefährlicher Körperverletzung. Es habe sich zwar um Gewalt gehandelt, aber es sei nicht so demütigend und menschenverachtend wie in Burbach, so ein Sprecher der Behörde. In Essen sollen Sicherheitsleute Flüchtlinge geschlagen haben, die örtliche Polizei ermittelt wegen Körperverletzung in zwei Fällen.
Bereits seit Sonntag beschäftigt ein Fall in einer zentralen Aufnahmeeinrichtung des Landes NRW in Burbach (Siegerland) die Öffentlichkeit. Hier soll ein Asylbewerber gezwungen worden sein, sich auf ein Bett mit Erbrochenem zu legen. Wachleute posierten zudem über einem algerischen Flüchtling, der am Boden liegt, einer der Wachleute drückte einen Fuß in den Nacken des Gedemütigten. Bildmaterial zeugt von den Vorfällen. Die Tatverdächtigen sollen unter anderem wegen Körperverletzung polizeibekannt sein.
Das Entsetzen ist groß. Viele fühlen sich an das US-Gefängnis im irakischen Abu Ghraib erinnert, Vertreter sämtlicher Parteien in Nordrhein-Westfalen zeigten sich schockiert. Am Donnerstag werden die Vorfälle in den drei Städten den Landtag beschäftigen. Die beiden zentralen Erstaufnahmelager in Burbach und Essen werden vom Land NRW betrieben. Das Land will künftig mehr Personal für die Überwachung von Flüchtlingseinrichtungen bereitstellen. »Ich schäme mich dafür, was den Menschen dort geschehen ist«, betonte NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD). Bundesregierungssprecher Steffen Seibert drängte auf rasche Aufklärung.
Auch der Bundesverband der Sicherheitswirtschaft (BDSW) meldete sich zu Wort. In den Aufnahmelagern seien »elementare gewerberechtliche Vorgaben missachtet« worden, monierte BDSW-Hauptgeschäftsführer Harald Olschok. Wenn vorbestrafte Sicherheitskräfte eingesetzt werden, so deute das darauf hin, dass die vom Gesetzgeber vorgeschriebene Überprüfung der Zuverlässigkeit nicht stattgefunden habe. Olschok forderte einen »verschärften Gewerbezugang« und eine jährliche Zuverlässigkeitsüberprüfung der Beschäftigten von Sicherheitsunternehmen. Zudem könne der Schutz nicht von Mindestlohnkräften gewährleistet werden. Gleichwohl liegt der zwischen dem BDSW und der Gewerkschaft ver.di ausgehandelte Tariflohn in NRW zwischen 8,32 und 8,62 Euro. Der bundesweite Mindestlohn beträgt 8,50 Euro.
Der Flüchtlingsrat NRW zeigte sich »überrascht und entsetzt« über die Vorwürfe. »Ein Fall dieser Größenordnung war uns bisher nicht bekannt. Was die privaten Wachdienste betrifft, erhält der Flüchtlingsrat nicht andauernd negative Rückmeldungen«, sagte Flüchtlingsratsmitarbeiterin Anna Kress gegenüber »nd«. Kress forderte, die Betreuung von Flüchtlingen solle wieder ausschließlich durch Wohlfahrtsverbände übernommen werden, die einen höheren Anspruch an Qualität und Ausbildung stellten. In NRW betreibt die European Homecare GmbH sechs zentrale Aufnahmeeinrichtungen. In vier davon wurde die in Nürnberg ansässige SKI Wach- und Sicherheitsgesellschaft eingesetzt. »Sozial«- und Sicherheitsunternehmen kooperierten auch in den Aufnahmelagern Burbach und Essen, wobei SKI offenbar die eigentliche Arbeit an einen Subunternehmer delegierte.
Beide Unternehmen ließen am Montag nd-Anfragen unbeantwortet, die European Homecare GmbH veröffentlichte aber eine Stellungnahme auf ihrer Webseite. Geschäftsführer Sascha Korte bat darin um Entschuldigung. Bis zur Klärung der Vorwürfe habe man die Zusammenarbeit mit SKI beendet und einen anderen Sicherheitsdienstleister beauftragt. Laut Medienberichten wurde European Homecare allerdings von der Bezirksregierung Arnsberg gezwungen, sich von SKI zu trennen.
European Homecare betreibt bundesweit 40 Einrichtungen für Flüchtlinge, verdient auch am Geschäft mit Obdachlosen. Korte ist als Geschäftsführer auch für die PN Pflege-Netzwerk GmbH tätig, die unter anderem Seniorenwohngemeinschaften betreut. Beide Unternehmen sind im Gegensatz zu Wohlfahrtsverbänden gewinnorientiert. Immer mehr private Unternehmen wollen am Geschäft mit den Flüchtlingen teilhaben, zuletzt das Schweizer Unternehmen ORS. In der Schweiz steht die Gewinnorientierung solcher Firmen seit Langem in der Kritik, dort ist von »Asylbusiness« die Rede.
Warum ein Nürnberger Sicherheitsunternehmen für eine 350 Kilometer entfernte Einrichtung im Siegerland engagiert wurde, darüber kann Andrea Becker, ver.di-Landesfachbereichsleiterin »Besondere Dienstleistung« im Landesbezirk NRW nur spekulieren. »Möglicherweise wegen des Preises - in der Sicherheitsbranche gilt ja das Prinzip ›Billig, billig, billig‹«. Die Branche sei entstanden, weil der Staat und viele Betriebe, die früher eigene Sicherheitsmitarbeiter beschäftigten, diese Aufgaben ausgliederten. »Die Unternehmen müssen also billiger als der Staat sein, sonst lohnt es sich nicht, sie zu engagieren.« In der Folge seien Löhne und Rahmenbedingungen miserabel. Weder Unternehmen noch Mitarbeiter würden ordentlich überprüft. »Ein paar Stunden Unterricht für den Sachkundeschein, und dann wird der ehemalige Türsteher plötzlich auf Flüchtlinge losgelassen oder gar Chef«, kritisiert Becker. Für ein großes Problem hält die Gewerkschafterin die Herausbildung von Subunternehmerketten: »Da weiß niemand mehr, wer dahinter steht. Wenn ich aber als Staat die Verantwortung für eine soziale Infrastruktur übernehme, dann muss ich auch in punkto Sicherheit das Heft in der Hand behalten.«
SKI-Geschäftsführer Walter Stilper engagierte sich in der CSU, kandidierte 2008 für den Stadtrat von Hersbruck. Sein Unternehmen beschützt nicht nur Sportveranstaltungen, es bietet auch Detektei-Dienste an. So spionieren die Nürnberger krank gemeldete Arbeitnehmer aus, möglicherweise, um so die Kündigung unliebsamer Mitarbeiter forcieren zu helfen. Nur auf die Mitarbeiter des eigenen Subunternehmers in Burbach hatte SKI keinen so wachen Blick - aber dafür wurde das Unternehmen ja nicht beauftragt, sprich bezahlt.
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