»Freitagsstammtisch« hat brutal zugeschlagen
Ein Obdachloser legte sich mit dem Inhaber eines Feinkostgeschäfts an und landete auf der Anklagebank
»Ich trete dir in den A...« oder »Ich haue dir eins auf die Fr...« - das sind zwar rustikale Drohungen, bleiben aber in der Regel ohne juristische Wirkung, wenn dem Spruch nicht Taten folgen. Auch der Ruf »Ich bring dich um« reicht nicht aus, um vor Gericht zu landen. Es muss schon etwas Abgrundtiefes sein, wenn man wegen seiner Worte in den Fängen der Justiz landet. So wie Bruno B., der sich selbst als Feinschmecker bezeichnet. Über Jahre streifte er durch die Feinkostabteilungen der großen Warenhäuser, schlürfte hier und da etwas von dem, was andere übrig ließen.
Auch bei Feinkost-Rogatzki in Charlottenburg war er Stammgast. Unauffällig leerte er die Teller und verschwand wieder. Doch an jenem Februartag letzten Jahres war alles anders. Da wurde richtig Party gemacht, der Regierende war zu Gast und da merkte es das Personal sehr schnell: Der Herr, der in seiner Leibesfülle den Wildecker Herzbuben sehr nahe kommt, gehört hier irgendwie nicht zur Gesellschaft. Und so bat man ihn, das Geschäft umgehend zu verlassen. Anderenfalls würde man die Polizei einschalten. Das empfand Bruno B. als tiefe Erniedrigung. Er hatte niemandem etwas getan und sollte nun aus dem Haus gejagt werden. Er verschwand lautlos.
Tags darauf erhielt Feinkost-Rogatzi einen gelben Brief. Etwas eigentümlich, wie von Kinderhand geschrieben. Hier ist die Russenmafia, war da zu lesen. 100 000 Euro soll der Leckermann blechen, sonst wird die Bude abgefackelt und eine herrenlose Tasche wird den Rest besorgen. Unterschrieben war der Brief mit »Freitagsstammtisch«. Als Zeichen des Einverständnisses sollte der Feinkostladen die Jalousien runterlassen und wieder hochziehen. Gesagt getan, die Jalousien bewegten sich, die Polizei wartete im Versteck, doch nichts geschah. Die Russenmafia hatte es sich wohl anders überlegt.
Zwei Tage später stand ein wohlbeleibter Mann mit Gehhilfen in der Tür und erklärte, dass er der Briefschreiber gewesen sei. Die Polizei fand das überhaupt nicht lustig.
22 Monate später nun das juristische Nachspiel. Bruno B. muss sich vor Gericht verantworten. Er gesteht, den Text verfasst zu haben. Die Bedrohung muss von Gewicht sein, sagt das Gesetz, dabei ist es unerheblich, ob der Bedroher es ernst meint oder nicht. Allein die Möglichkeit, dass eine angedrohte Tat wahrscheinlich ist, reicht aus für eine Verurteilung. Von einer Geldstrafe bis zu einem Jahr Gefängnis ist alles möglich.
Bruno B., der in Wirklichkeit wohl keiner Fliege etwas antun kann, hat seit 1991 ein stattliches Register: versuchte räuberische Erpressung, Nötigung, Bedrohung, Urkundenfälschung, Erschleichen von Leistungen, Beleidigung, Volksverhetzung. Nie war es das große Ding und nie hat es geklappt. Irgendetwas ist in seinem Leben schief gelaufen. Als Arbeits- und Obdachloser kämpfte er sich mehr schlecht als recht durchs Leben. Seine Wohnung war in einem hoffnungslos verwahrlosten Zustand, er mied die Öffentlichkeit, nur zum Speisen verließ er die vier Wände. Freunde hat er auch nicht, wie seine Sozialbetreuerin dem Gericht erklärt.
Seit einem Jahr die Wende. In einer christlichen Einrichtung für Obdachlose fand er eine Unterkunft und Struktur in seinem Leben. Er fühle sich zum ersten Mal seit langer Zeit wieder wohl. Die Kammer wird dies bei der Strafzumessung berücksichtigen, wenn es in der nächsten Woche das Urteil spricht. Eine Geldstrafe wäre sinnlos, da Bruno B. nichts hat. Und auch eine Gefängnisstrafe bringt nichts. Bleibt nur eine dauerhafte soziale Betreuung.
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