Im lyrischen Wurzelwerk

Otterliebe und Serviettenverse: Jan Wagners Lyrikband »Regentonnenvariationen«

  • Björn Hayer
  • Lesedauer: 3 Min.

Im Garten keucht und fleucht es. Im dichten Gebälk zwischen Holzverschlag, Stauden und Beifuß erstreckt sich ein Riesenreich, das ständig in Bewegung ist - aus Kleinsttieren und grünem Leben. Geheimnisvoll und bedrohlich zugleich erscheint es uns. Wer nicht selbst den Blick in die schattigen Untergründe zu wagen weiß, dem kann vielleicht Lyrik helfen, zumindest Jan Wagners »Regentonnenvariationen«.

Als folgte man einer Mikrokamera unter Wurzelwerk und Herbstlaub, tut sich für den Leser das vergessene Abseits unserer Welt auf: Da liegen verfaulende Tennisbälle, »entstellt / wie schrumpfköpfe« im Matsch, es stinken Morcheln »tief im keller einer hecke«, Maulwürfe buddeln sich durch Gräber oder Melden wachsen »solidarisch mit dem schutt« auf Mülldeponien. Während man noch durch niederes Geäst stöbert, führt uns Wagner auch in die große Natur, wo Elch und Otter ihr Unwesen treiben. Letzterem liefert er sogar eine ganze Hommage.

So häuft der »flüsseplünderer, wasserhund« findig »ganze schätze / aus silber an in seinem bau, eine schimmernde pracht« und hinterlässt in der Nacht einen leergejagten See, »signiert von einem blankgenagten fischskelett«. Sichtlich bemüht feiert Wagner, wenn auch nicht ganz so luzid-funkelnd wie die poetischen Herbarien einer Marion Poschmann, die Statisten der Flora und Fauna, wendet unseren Blick auf Nebenschauplätze, hofft, im Versteckten das kleine Wunder zu finden.

Wo dabei Vertrautes auftaucht, kann dies indes schnell ins Unbehagliche kippen. Aus einer Regentonne blickt unverrücks die »unterwelt hinauf«, ein andermal sitzt ein Kind in einem Brunnen, das bis zur Rettung einzig mit der Gabe der Fantasie überlebt.

Der lyrische Innenraum im Kosmos des 1971 in Hamburg geborenen Autors wirkt zweifelsohne reizvoll, bisweilen skurril, aber nur selten gewinnen die Beobachtungen an existenzieller Bedeutung.

Wenn der aktuelle Band nicht von Natur spricht, dann über allzu Banales wie etwa Servietten und Seifen, ohne aber ein wenig den Witz eines Joachim Ringelnatz oder Robert Gernhardt im Umgang mit Alltagsdingen zu erzeugen. Um bei solchem Inventar die Aura des Besonderen zu beschwören, bedient sich Wagner nicht selten ungelenker Metaphern, wenn etwa von der »schwarzen blüte / des bordlautsprechers« oder den »erstbesteiger[n] / über den flötenden terrassen« die Rede ist. Immerhin: Gelungen sind die literarischen Miniaturen dort, wo sie nicht von Bild zu Bild springen, sondern uns an einen Ort entführen, dessen Grund wir in Ruhe erfassen können.

In »der letzte von zaningrad« erzählt Wagner von einer vergessenen Landschaft mit Beerensträuchern und Ruinen, weiß nach eindrücklicher Beschreibung: »nichts wird mir folgen / alles zerlaufen, / mit mir verschwunden sein.« - ein verlassener Raum, der genau zu dem gehört, was nachwirkt und im Gedicht doch noch eine späte Verewigung findet.

Mit diesem Band ist es wie mit einem wilden Kräutergarten. Man trampelt durch zahlloses Gewächs und trifft hin und wieder doch auf feine Kostbarkeiten, die man bewundert und genießt.

Jan Wagner: Regentonnenvariationen. Hanser Berlin. 112 S., geb., 15,90 €.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.