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Vaters Tochter

Claudia Piñeiro taucht in ihre Kindheit - und in die argentinische Geschichte

  • Irmtraud Gutschke
  • Lesedauer: 5 Min.

Unter den Zitaten in diesem Buch ist eines von dem argentinischen Autor Guillermo Saccomanno: »Meine Großmutter hat mir beigebracht: ›Die Erinnerung ist wie eine Zunge, sie geht immer zu dem Zahn, der am stärksten wehtut.‹« Was tut Claudia Piñeiro weh, dass sie dieses Buch geschrieben hat? Wir werden nicht alles erfahren, manches werden wir erahnen müssen, manches wird sie auch ganz für sich behalten.

Was ihr weh tut: die Erinnerung an ihren Vater, den sie so früh verlor. »Mein Papa ist viel schöner als meine Mama.« Kein Zweifel: Sie ist wie so viele Mädchen ein Vaterkind. Immer ist es ihr zu wenig, was sie von ihm an Aufmerksamkeit bekommt. Sie bewundert ihn, wie er im Club Social ins Wasser springt, und weint heimlich, als sie ihn dort mit Fräulein Julia Tennis spielen sieht. Eifersüchtig ist sie stellvertretend für ihre Mutter.

Aus ihren Erinnerungen liest man ein Drama heraus, das manche Frauen mit sich tragen. Auch später noch und mitunter ganz zu Unrecht fühlen sie sich zu wenig geliebt.


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* Claudia Piñeiro: Ein Kommunist in Unterhosen. A. d. Span. v. Peter Kultzen. Unionsverlag. 208 S., geb., 19,95 €.


Ob das bei Claudia Piñeiro auch so ist? Wer weiß. »Im Guten wie im Schlechten gibt die Größe des eigenen Vaters das Maß vor, an dem wir alle anderen Männer messen«, heißt es auf Seite 26. Der Vater ist für sie groß gewesen und hat sie in heimliche Konflikte gebracht. Sie konnte ja niemandem sagen, dass er sich als Kommunist bezeichnete - auch vor dem Beginn der Militärdiktatur in Argentinien nicht. Ihre Freundinnen kamen aus patriotischen Familien.

Ein »Fahnendenkmal« gibt es tatsächlich in Burzaco. Ein Monstrum, das im Buch den inneren Widerstreit ins Bild bringt, dem sich Mutter und Tochter ausgesetzt fühlen. Sie fühlen sich verpflichtet, es zu bejubeln wie die anderen, wollen nicht abseits stehen, tragen aber auch die Haltung des Vaters in sich, der es abwertet. Es ist nicht seine Fahne. Und das nicht nur, weil er in Spanien geboren wurde.

Der Widerspruch zwischen ihrer »Familie und der Welt, in die ich mich begab, sobald ich unsere Türschwelle überschritt«, hat Claudia Piñeiro so viele Jahre später zum Schreiben dieses Buches gebracht, das mithin ganz anders ist als das, was man bisher von ihr kannte.

Nicht auf Spannung bedacht, sondern leise, wägend. Denn im nachhinein betrachtet, bekommt die Figur des Vaters auch etwas Widersprüchliches - nicht nur, weil er zu Hause in ausgeleierten Unterhosen herumlief. Die Frauen der Familie - Mutter und Schwiegermutter - konnten mit ihm nicht zufrieden sein. Und auch das nicht nur, weil er ein offenbar erfolgloser Vertreter für Turboventilatoren war. Ein auf sich selbst bezogener Mann, für den abends extra ein Steak gebraten wurde, weil er nichts anderes zu sich nehmen wollte.

»Das Gedächtnis funktioniert wie eine Matrjoschka«, schreibt die Autorin. »Man nimmt die oberste Figur ab und unter ihr wartet schon die nächste, und man meint, es könne ewig so weitergehen.«

Fragmente der Erinnerung hat sie zusammengefügt, dazu Fotos, die ihr etwas bedeuten. Stärker erhellt sich jetzt auch der historische Hintergrund, als das zu Kinderzeiten möglich sein konnte. Man kann genau miterleben, wie es war, als Isabel Perón am 24. März 1976 durch eine Militärjunta ihres Amtes enthoben wurde, wie die meisten sogar darüber froh waren. »Jetzt gibt es endlich wieder Toilettenpapier«, meinte Claudias Freundin Mónica.

Und dann sprach Mónica auch noch von »subversiven Kräften«, gegen die die Militärs die Leute beschützen müssten. Wenn dann jemand »abgeholt« wurde, wurde gemunkelt, es müsse ja wohl einen Grund gegeben haben. Andernfalls käme er sicher gleich wieder frei. Claudia biss sich auf die Zunge, hatte instinktiv Angst, sich und den Vater zu verraten. Ein Klima des Selbstbetrugs, der Bedrückung und des Schweigens - da kann man sich vorstellen, wie es bei der Machtübernahme der Nazis in Deutschland war.

Der Vater blieb ungerührt. Obwohl die argentinischen Kommunisten den neuen Diktator, General Videla, zunächst unterstützten, eine entsprechende offizielle Mitteilung ist beigefügt. Dass dies auf Geheiß der Sowjetunion geschehen sein soll, man kann es kaum verstehen. So wie so manches, was im Nachhinein schwer erklärlich ist und deshalb verdrängt wurde. Der Vater jedenfalls fügte sich keiner Disziplin. Er war »ein kommunistischer Romantiker, der von Che Guevaras Abenteuern in Bolivien, im Urwald, auf Kuba träumte«.

Vielleicht war es dieses Bedürfnis nach Unabhängigkeit, das Claudia Piñeiro vom Vater blieb. Schönes Zitat im Nachwort: »Wir Romanschriftsteller lügen, aber der Roman ist für uns das, was der Wirklichkeit am nächsten kommt - ob wir die Welt auf diese Weise verstehen wollen, weiß ich nicht, wenigstens haben wir so aber das Gefühl, wir müssten uns von der Welt nicht nach Lust und Laune an der Nase herumführen lassen.«

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