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Trügerische Idylle

Elizabeth Strout führt in eine US-amerikanische Kleinstadt

  • Lilian-Astrid Geese
  • Lesedauer: 3 Min.

Vielleicht ist das Leben in kleinen Städten, zumal im US-amerikanischen Mittelwesten, wirklich so beengend, wie Romane, die in Kleinstädten spielen, es vorführen. Doch Elizabeth Strout, Bestseller-Autorin aus Portland, Maine, zeichnet nicht nur die bedrückende Beschaulichkeit im fiktiven Neu-England-Örtchen West Annett nach. Sie wirft Blicke in die Abgründe der menschlichen Seele. Ihre gelegentlich etwas langatmige Erzählweise, die in der deutschen Übersetzung von Sabine Roth leider etwas aufgeblasen wirkt, und die zahlreichen, ziemlich willkürlich eingewobenen Bibelzitate, sieht man ihr daher nach. Hier und da muss man halt querlesen.

»Bleib bei mir«, Strouts zweiter Roman, entstand 2006, noch vor ihrem großen Erfolg »Mit Blick aufs Meer«, und handelt von Tyler Caskey, einem jungen Pfarrer aus einfachen Verhältnissen, dem die scheinbar verschlafene Gemeinde anvertraut wird. Tyler erscheint als netter, umgänglicher, verständnisvoller Mann. Er verehrt Dietrich Bonhoeffer und interessiert sich, obwohl selbst protestantisch, für katholische Heilige. Seine Frau Lauren ist dagegen ein typisches »East Coast Girl«: urban, reich und ziemlich unglücklich. Sie stirbt jung und hinterlässt dem trauernden Witwer gemischte Gefühle und Erinnerungen an eine eigentlich gescheiterte Ehe sowie zwei Töchter. Katie (5) verarbeitet den Verlust der Mutter mit Trotz und Schuldgefühl und gerät in den fatalen Teufelskreis des unverstandenen Kindes, das bockt, weil niemand es mag, und das niemand mag, weil es bockt. Die Großmutter will sich nicht um die Halbwaise kümmern. Sie nimmt nur Jeannie, die Babyschwester, auf, und versucht gleichzeitig, Tyler mit der Apothekerin aus der Nachbarstadt zu verkuppeln. Doch der steuert ungebremst auf den Zusammenbruch zu.


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* Elizabeth Strout: Bleib bei mir: Roman. A. d. Am. v. Sabine Roth. Luchterhand. 336 S., geb., 19,99 €.


Der einzige, der dem Kollaps nahe ist, ist er allerdings nicht. Die idyllische Fassade bröckelt im Pfarrhaus, in der Kirche und in mehreren Familien im Ort. Tylers Haushälterin Connie versteckt sich, weil sie von der Polizei wegen Diebstahl gesucht wird. Dabei hat sie ein weitaus schlimmeres Verbrechen begangen. Doris grämt sich, weil die Gemeinde ihr keine neue Orgel genehmigen will. Dabei ist ihr eigentliches Dilemma ihr Mann, der sich in eine Prostituierte verliebt hat. Und Mary Ingersoll, die Lehrerin, weiß nicht, ob sie Reverend Caskey liebt oder hasst ... Fast alle in West Annett leiden, doch niemand möchte den rosa Schleier der Harmonie durch Misstöne verdüstern. - Es ist ein traurig-realistisches Bild des Menschlich-Allzumenschlichen, das Strout präsentiert.

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