Die alte Tante und ihr jüngstes Kind
Die ostdeutsche SPD startete voller Hoffnungen, ihre Wahlergebnisse aber scheinen seit Jahren fest zementiert
Es hatte schon etwas Rührendes, mit welcher Freude die sächsische SPD am 31. August ihre bei der Landtagswahl hinzugewonnenen zwei Prozent Wählerstimmen feierte. Exakt das gleiche Ergebnis von 12,4 Prozent löste zwei Wochen später in Thüringen Bestürzung aus. In Brandenburg hingegen bleibt die SPD bei nur leichten Verlusten stärkste Partei. Drei Schauplätze sozialdemokratischer Entwicklung im Osten, die vor genau 25 Jahren begonnen hatte - mit der Gründung der SDP in der Noch-DDR. Ausgerechnet am Republikgeburtstag 1989 waren nach dem Gründungsaufruf im Pfarrhaus Schwante etwa 40 Neumitglieder zusammengekommen.
»Unsere Wurzeln hatte die DDR komplett gekappt, sozialdemokratische Geschichte war praktisch unterbrochen«, gibt Sachsens Landeschef und Hoffnungsträger Martin Dulig zu bedenken. Aus dem Handicap der Neugründung, der späten Vereinigung mit der SPD West erst knapp ein Jahr später, aus strukturellen Nachteilen gegenüber der SED-PDS und den westkompatiblen Blockparteien leitet er die anhaltende Schwäche zumindest der sächsischen SPD ab. Ganze viereinhalbtausend Mitglieder zählt der Landesverband. Zu den Kommunalwahlen im Mai konnte die Partei nicht einmal flächendeckend Kandidaten ins Rennen schicken.
Doch mit dieser Erklärung macht es sich Dulig zu einfach. Befindet sich die SPD Ost nach 25 Jahren immer noch in einem Aufholprozess? Angesichts ihrer Dominanz im Nordosten und der sehr unterschiedlichen Situation in den südlicheren Beitrittsländern kann das so pauschal nicht zutreffen. Richtig ist aber, dass es sehr auf das Jahr 1990 und die ersten Jahre der neu gegründeten Bundesländer ankam. Umfragen sagten der SPD Anfang 1990 für die erste freie Volkskammerwahl im März noch Ergebnisse über 50 Prozent voraus. Die »alte Tante SPD« schien mit dem unerwarteten Nachwuchs - immerhin gab es in der DDR keine sozialdemokratische Blockpartei - vor einem unaufhaltsamen Erfolg zu stehen.
Doch die Ossis glaubten lieber Kohls Heilsversprechen als Lafontaines Analysen. »Oskar Lafontaine hat die Kosten und Folgen der Einheit klar vorausgesehen, aber er entsprach nicht der D-Mark-Euphorie«, blickt Brandenburgs SPD-Generalsekretärin Klara Geywitz zurück.
Bei der Wahl der Landesparlamente im Herbst 1990 spielte das Spitzenpersonal im ohnehin wenig emanzipierten und autoritär denkenden Osten eine besonders wichtige Rolle. »Die CDU hatte mit ihren ersten Ministerpräsidenten auch nicht überall Glück«, spielt der Dresdner Politikwissenschaftler Werner Patzelt auf Josef Duchac in Thüringen oder Gerd Gies in Sachsen-Anhalt an. »Aber bei der SPD fielen besonders viele Westimporte aus der zweiten Reihe auf«, fügt er hinzu. So hatte Anke Fuchs gegen einen Kurt Biedenkopf in Sachsen keine Chance, der in geschickter Weise den ewig gekränkten Sachsenstolz und zugleich die Erwartungen an den Häuptling bediente, der sagt, »wo es langgeht«.
In Brandenburg schufen Manfred Stolpe auf die gleiche Weise, die charismatische Regine Hildebrandt und später Matthias Platzeck Bindungen an die SPD, die bis heute tragen. In Mecklenburg-Vorpommern und in Sachsen-Anhalt dauerten die Sortierungsprozesse etwas länger. Im Norden gingen sie mit der Ära Harald Ringstorff seit 1998 zugunsten der SPD aus. In Magdeburg hat sich die Partei vom Absturz auf 20 Prozent nach der PDS-tolerierten Minderheitsregierung Reinhard Höppners 1998-2002 nicht wieder erholt. Was für alle Länder zutrifft: In den vergangenen 15 Jahren veränderten sich die Stärkeverhältnisse der ostdeutschen Sozialdemokratie nicht wesentlich, wo sie einmal festgezurrt waren.
Eine objektive Selbstschwächung hat sich die SPD Ost selbst zuzuschreiben - damit, dass sie in den neunziger Jahren die Aufnahme ehemaliger SED-Mitglieder generell ablehnte. Die frühere GEW-Bundesvorsitzende und spätere sächsische Wissenschaftsministerin Eva-Maria Stange beispielsweise war in der Gorbatschow-Ära 1988 aus der SED ausgetreten. Zehn Jahre später, als sie sich über die Gewerkschaft der SPD annäherte, wurde sie im Ortsverband immer noch peinlich befragt. »So haben wir viele engagierte potenzielle Sozialdemokraten verloren«, blickt sie zurück. Es sei zwar verständlich, dass das junge zarte Pflänzchen SPD im Osten seine Identität schützen wollte, sagt Politikwissenschaftler Patzelt, bezeichnet diese Abschottung aber auch als »strategischen Fehler«.
Wo sich die SPD vor der LINKEN und der Union etablieren konnte wie im Nordosten, scheint ihre Stellung gefestigt. Wo sie auf unabsehbare Zeit nur den Bronzeplatz abonniert hat, steckt sie in einer Falle. »Wie kommen wir aus dem strategischen Dilemma heraus, zwischen der LINKEN und der CDU zerrieben zu werden?« sinnierte nach der bitteren Wahlniederlage der Erfurter Oberbürgermeister und neue Thüringer Hoffnungsträger Andreas Bausewein. In Sachsen hat Landeschef Martin Dulig einen linken Lagerwahlkampf abgelehnt, »weil die SPD da nur verlieren kann«. Eine regierende LINKE trage immer auch sozialdemokratische Züge und werde dann eher als das Original wahrgenommen.
»Eine solche SPD braucht niemand mehr«, spottete am Wahlabend auch die Thüringer CDU mit Blick auf die rot-rot-grünen Optionen. Bei der Union ist sie selbstredend als Mehrheitsbeschaffer willkommen. Das aber kostet die Sozialdemokraten letztlich weitere Stimmen, wie Thüringen 2014 und Sachsen 2009 zeigten. Umso mehr kann sich die LINKE als einzig relevante Oppositionspartei profilieren. Wird also irgendwann eine freiwillig vereinte linke Einheitspartei wieder ein Gesprächsthema? Eine unwahrscheinliche Option angesichts der Ost-West-Unterschiede, aber auch angesichts beispielsweise der unterschiedlichen außenpolitischen Positionen.
Was tun? »Ich muss mit weißen Flecken leben«, zuckt Martin Dulig in Sachsen mit Blick auf die schwache Basis die Achseln. Starke Städte ausbauen, den Spitzenkandidaten weiter aufbauen. Und hoffen, irgendwann die hegemonialen CDU-Strukturen aufbrechen zu können. In Thüringen wird um ein Konzept gerungen. Spannung verspricht die Landtagswahl 2016 in Sachsen-Anhalt. Der bürgerliche Mainstream bevorzugt in Umfragen auch Mainstream-Koalitionen von CDU und SPD. Könnte die SPD erstmals davon profitieren?
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