Eine Frau präsidiert im Potsdamer Landtagsschloss
Britta Stark von der SPD ist die erste Landtagspräsidentin in Brandenburg / Protest gegen Eröffnungsrede durch Alterspräsidenten von der AfD
Potsdam. Mit 70 Stimmen von 86 abgegebenen wählte der Landtag in seiner konstituierenden Sitzung am Mittwoch mit der SPD-Abgeordnete Britta Stark erstmals eine Frau zur Landtagspräsidentin. 14 Abgeordnete stimmten mit Nein, zwei enthielten sich und zwei Abgeordnete nahmen an der Wahl nicht teil. Britta Starks von der CDU nominierter Stellvertreter Dieter Dombrowski vereinigte auf sich 56 Ja-Stimmen. Gegen ihn stimmten 14 Angeordnete, 11 enthielten sich. Die bislang in Brandenburg nicht übliche Wahl eines zweiten Landtagsvizepräsidenten wird von SPD und LINKE angestrebt. Sie konnte gestern aber noch nicht erfolgen, weil dazu erst die Landesverfassung geändert werden muss.
Britta Stark, die erstmals bereits 1990 in den Landtag eingezogen war, erinnerte an die Demokratiebegeisterung im Zuge der Wende und konstatierte, dass diese Begeisterung in den vergangenen 25 Jahren einer weit verbreiteten Wahlmüdigkeit gewichen sei. Wenn sich auch auf der einen Seite viele Brandenburger ehrenamtlich engagieren, viele geben bei Urnengängen ihre Stimme nicht mehr ab. Bei nur noch 47,9 Prozent hat die Beteiligung bei der Landtagswahl am 14. September gelegen. 1990 waren es noch 67,1 Prozent gewesen. Sie betrachte es daher als ihre Aufgabe, sagte Stark, »Lust auf Demokratie« zu wecken. Es sei Sache des Landtags, »demokratische Debatten interessanter zu machen«.
Mit einer kleinen Panne begann die neue Legislaturperiode, denn als zu Beginn die Namen aller Abgeordneten verlesen wurden, fehlte zunächst der Name des Abgeordneten Stefan Ludwig (LINKE). Er wurde nicht aufgerufen, nur die namensgleiche CDU-Abgeordnete Saskia Ludwig fand in der Aufzählung Erwähnung. Alterspräsident Alexander Gauland (AfD) holte den Aufruf Stefan Ludwigs einige Minuten später nach. Gauland, der mit seinen 73 Jahren älteste Mitglied des Hohen Hauses und somit sein Alterspräsident ist, nannte in seinen begrüßenden Worten die heutige Welt »zu kompliziert für einfache Lösungen«. Das Parlament habe es in der Gesellschaft mit einer nie dagewesenen »Welle nicht ökonomischer Interessengruppen« zu tun, die in hohem Maße unterschiedlichen Überzeugungssystemen und Weltanschauungen ausgeprägt hätten, und es werde immer schwieriger, ein allen gemeinsames Werteschema, einen neuen gemeinsamen Grundwille zu formulieren. Alexander Gaulands rechtskonservativer Standpunkt schimmerte durch, als er von »neuen politischen Belastungen« sprach, welche durch die Freizügigkeit über Grenzen hinweg in Europa geschaffen worden seien. Dabei nannte er die »Einwanderung in die Sozialsysteme«, die grenzüberschreitende Kriminalität und den Arbeitsplatzverlust durch Standortverlagerung von Industriebetrieben.
40 Mitglieder der Linksjugend solid demonstrierten während Gaulands Rede unter dem Motto »AfD shut up!« (AfD halt den Mund) vor dem Landtagsschloss. Angemeldet war diese Kundgebung von der jüngsten Landtagsabgeordneten Isabelle Vandré (LINKE). Diese sagte: »Herr Gauland hat als Alterspräsident das Recht, eine Rede zu halten. Ich nehme mir aber das Recht, den Landtag dann zu verlassen, weil er das Podium nutzen könnte, um unkommentiert seine rechtspopulistischen Forderungen und Themen zu verbreiten.«
Der rein formal feierliche Gehalt der konstituierenden Sitzung wurde durch einen Diskussionspunkt angereichert. Denn die drei Landtagsabgeordneten der Brandenburger Vereinigten Bürgerbewegungen/Freie Wähler (BVB/FW) begehrten schon bei dieser ersten Landtagssitzung, eine parlamentarische Gruppe bilden zu dürfen, die weitgehend die Rechte einer Fraktion besitzen soll. Die Freien Wähler gelangten in den Landtag, weil ihr Spitzenkandidat, der frühere SPD-Abgeordnete Christoph Schulze, seinen Wahlkreis gewann und mit diesem Direktmandat die Fünf-Prozent-Hürde für die Freien Wähler ausgehebelt wurde. Zur Bildung einer Fraktion braucht es laut Gesetz vier Abgeordnete. Der Abgeordnete Péter Vida, der BVB/FW-Landesvorsitzender ist, verwies am Mittwoch noch einmal darauf, dass in der Legislaturperiode 1990 bis 1994 drei Abgeordneten für eine Fraktion ausgereicht hatten und die Hürde erst später auf vier Abgeordnete heraufgesetzt wurde.
Skeptisch reagierte der SPD-Abgeordnete Mike Bischoff auf das Verlangen nach dem Gruppenstatus. Er zählt die ohnehin allen Abgeordneten zustehenden Rechte auf, unter anderem das Fragerecht und das Recht, an Ausschüssen teilzunehmen und Gesetzesentwürfe einzubringen. Die drei BVB-Abgeordneten haben pro Sitzungstag 24 Minuten Redezeit, sagte Bischoff.
Der Abgeordnete Thomas Domres (LINKE) forderte die Freien Wähler auf, sich nicht als »Abgeordnete zweiter Klasse« zu inszenieren. Man müsse die Debatte ehrlich führen. Es gehe den Freien Wählern »um zusätzliche Mitarbeiter, Büros und Geld«. Während die AfD in dieser Frage eher ablehnende Töne vernehmen ließ und für einen »Schnellschuss« nicht zu haben war, stand die CDU ihrem Redner Jan Redmann zufolge dem Anliegen der Freien Wähler aufgeschlossen gegenüber. Redmann verlangte, die »Arroganz« gegenüber kleinen parlamentarischen Gruppen zu beenden.
Die Fraktionschefin der Grünen, Ursula Nonnenmacher, erinnerte daran, dass erst noch der Hauptausschuss gebildet werden müsse, der sich mit dieser umstrittenen Frage zu befassen habe. An diesen noch zu gründenden Hauptausschuss wurde in der Folge der Antrag der BVB/FW überwiesen. Abschließend wählte der neue Landtag das Landtagspräsidium, das neben der Präsidentin und ihrem Stellvertreter weitere neun Abgeordnete umfasst.
An der Sitzung nahmen auf der Besuchertribüne auch der scheidende Landtagspräsident Gunter Fritsch und sein Amtsvorgänger Herbert Knoblich (beide SPD) teil. In der ersten Reihe saßen ferner Ex-Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD), Teltow-Flämings Landrätin Kornelia Wehlan (LINKE) und die Oberbürgermeister der vier kreisfreien Städte Potsdam, Cottbus, Frankfurt (Oder) und Brandenburg/Havel, letztere im Glanze ihrer Amtsketten.
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