Koalition zieht Kreise
Diskussionen um die von Rot-Rot als unumgänglich angesehene Gebietsreform
Nach sieben Gesprächsrunden, die zwei Sondierungstermine mitgezählt, sind sich SPD und LINKE über ihren künftigen Regierungskurs einig. Die Koalitionsverhandlungen wurden am Mittwoch kurz vor 23 Uhr im Kongresshotel Potsdam abgeschlossen. Zuletzt ging es um den Zuschnitt der Ressorts. Die Namen der Minister stehen aber noch nicht fest. Die Verteilung der Posten soll erst entschieden werden, wenn ein Mitgliederentscheid bei den Sozialisten am 31. Oktober ausgezählt ist. Auch der Ressortzuschnitt werde erst nach dem Mitgliederentscheid bekanntgegeben, sagte SPD-Generalsekretärin Klara Geywitz am Donnerstag. Am 1. November sollen Parteitage von SPD und LINKE grünes Licht für die Fortsetzung von Rot-Rot geben.
Die LINKE würde gern weiter vier Ministerien unter sich haben. »Das ist mein Ziel«, unterstrich der Landesvorsitzende Christian Görke. Nachdem die LINKE bei der Landtagswahl am 14. September von 27,2 auf 18,6 Prozent abgestürzt war, hatte es geheißen, sie müsse sich künftig wohl mit drei Ministerien zufrieden geben. Die CDU hatte allerdings in den Jahren 2004 bis 2009 als Juniorpartner der SPD mit nur 19,8 Prozent ebenfalls vier Ressorts bekommen.
Es werde nachgedacht, das Kabinett zu verkleinern, hatte Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) vor der letzten Verhandlungsrunde verraten. Bisher gibt es neun Ministerien. Über eine Aufteilung des Umwelt- und Gesundheitsministeriums von Anita Tack (LINKE) unter Agrarminister Jörg Vogelsänger und Sozialminister Günter Baaske (beide SPD) ist mehrfach spekuliert worden. Darauf, dass die LINKE in diesem oder einem ähnlichen Falle einen Posten verlieren würde, gibt es einen Hinweis: Nachdem die SPD sein Werben um eine Regierungsbeteiligung der CDU ablehnte, hatte CDU-Landeschef Michael Schierack entrüstet auf die angeblich unzumutbare Forderung der SPD hingewiesen, die CDU sollte sich trotz ihrer 23 Prozent mit drei Ministerien abfinden.
Der Koalitionsvertrag soll an diesem Freitag vorgestellt werden. Etliche Vorhaben sind zwar schon bekannt, trotzdem werden Details und konkrete Formulierungen mit Spannung erwartet. So etwa Aussagen zur Zukunft der Braunkohle und zur Einführung von Gemeinschaftsschulen. Für eine Debatte sorgt vorab die geplante Kreisgebietsreform. Die Zahl der Landkreise soll von 14 auf höchstens zehn verringert werden und von den vier kreisfreien Städten Potsdam, Cottbus, Brandenburg/Havel und Frankfurt (Oder) sollen womöglich alle außer Potsdam mit den umliegenden Landkreisen fusioniert werden. Dabei möchte sich die Koalition an den Ratschlägen einer Enquetekommission des Landtags orientieren, die sieben bis zehn Kreise empfohlen hatte. Hintergrund ist die Bevölkerungsprognose. Kein Landkreis sollte weniger als 200 000 Einwohner zählen. Doch im Jahr 2030 würden 10 der 18 Landkreise und kreisfreie Städte weniger als 150 000 Einwohner haben. Einige liegen bereits jetzt unter dieser Marke.
Die Kreisgebietsreform werde nicht am Reißbrett gemacht oder in kleiner Runde ausgekungelt, hat LINKE-Landeschef Görke versichert. In den nächsten Monaten solle eine landesweite Diskussion angestoßen werden. Ein bis anderthalb Jahre wäre dann Zeit, Bedenken zu äußern.
Die Kritik ließ nicht auf sich warten. Es dürfe keine Vorfestlegungen geben, verlangten die Oberbürgermeister der vier Großstädte. Vielmehr müsse es eine ergebnisoffene und transparente Debatte geben. Auch der Städte- und Gemeindebund meldete sich zu Wort. »Zuerst müssen wir uns über eine zukunftsfähige Aufgabenverteilung verständigen, erst dann sollte man über die dafür passenden Verwaltungsstrukturen sprechen«, sagte Geschäftsführer Karl-Ludwig Böttcher. »Ansonsten macht man den zweiten Schritt vor dem ersten.«
Der Landtagsabgeordnete Henryk Wichmann (CDU) ließ wissen: »Als stärkste Oppositionsfraktion akzeptieren wir es nicht, dass Rot-Rot quasi am Reißbrett und in einer kleinen Runde die Struktur unseres Landes verändern möchte. Für uns ist klar: Es darf in Brandenburg keine Zwangsfusionen von Landkreisen und kreisfreien Städten geben.« Wichmann erinnerte, vor der Wahl habe Innenminister Ralf Holzschuher (SPD) versichert, dass auf eine Kreisgebietsreform vorläufig verzichtet werde. »Hier haben wir das erste gebrochene Wahlversprechen der SPD«, meinte Wichmann. Seine Fraktionskollegin Saskia Ludwig warnte, die finanziellen Probleme der Großstädte dürften nicht auf die Landkreise abgewälzt werden.
Ministerpräsident Woidke hat durchblicken lassen, dass die desolaten Haushalte der Großstädte ein Handeln erzwingen. Cottbus, Frankfurt (Oder) und Brandenburg/Havel sind hoch verschuldet. Hier soll es Lösungen geben, deutete Woidke an.
Dieser Ansatz sei richtig, lobte Grünen-Fraktionschefin Ursula Nonnemacher. Die Bedeutung der Städte hänge weniger von der Kreisfreiheit ab, sondern vor allem davon, »welche Strahlkraft sie in die Regionen hinein entwickeln«. Sie begrüßte, dass SPD und LINKE die Empfehlungen der Enquetekommission »nun zum Maßstab ihres Handelns machen wollen«. Die Grünen tragen die Kommissionsempfehlungen mit, sagte Nonnemacher. »Höchst verwunderlich ist allerdings die Dreistigkeit, mit der besonders die SPD die Kreisgebietsreform im Wahlkampf hinter Strohballen versteckt hat, um sie nun plötzlich zum wichtigsten Thema der Legislaturperiode zu erklären.«
2006 zerbrach die rot-rote Koalition in Mecklenburg-Vorpommern auch wegen der Absicht der SPD, das Bundesland in lediglich fünf oder sogar nur vier Kreise zu unterteilen. Eine derart weitgehende Gebietsreform steht in Brandenburg aber nicht auf der Tagesordnung. Die hiesigen Kreisgrenzen bestehen seit 1993.
»Aufgrund der demografischen Entwicklung ist fachlich völlig unstrittig, dass Landkreise zusammengelegt werden müssen«, sagte Fredersdorf-Vogelsdorfs Bürgermeister Uwe Klett (LINKE) am Donnerstag. Mit anderen Bürgermeistern seiner Partei hatte er im Sommer 2013 versucht, eine radikale Variante ins Gespräch zu bringen: die Auflösung der Landkreise, deren Aufgaben durch vergrößerte Gemeinden mit erledigt werden sollten. Die Wege der Kreistagsabgeordneten zu Sitzungen würden bei größeren Kreisen weiter werden. Die Arbeit sei dann ehrenamtlich kaum noch zu erledigen, so dass über eine Erhöhung der Aufwandsentschädigungen nachgedacht werden müsste, sagte Klett jetzt. Eltern sei egal, ob ihr Antrag auf einen Kitaplatz in Seelow oder in Frankfurt (Oder) bearbeitet wird. »Das kann aber auch bei uns geschehen«, warb Klett für die Übertragung von Aufgaben an die Gemeinden.
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