Schießübung in der Nachbarschaft

Schleswig-Holstein will Flüchtlinge in einer Kaserne unterbringen - bei laufendem Betrieb

  • Dieter Hanisch, Boostedt
  • Lesedauer: 3 Min.
In der Gemeinde Boostedt wird derzeit darüber diskutiert, dort eine Außenstelle der zentralen Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge in Neumünster einzurichten.

Die Aufnahmestelle in Neumünster mit rund 450 Plätzen verfügt nicht mehr über ausreichende Kapazitäten, um so viele Flüchtlinge wie nötig unterzubringen. Es wurde bereits ein Zelt aufgestellt, das in der kälteren Jahreszeit durch Container ersetzt werden soll. Ein Ausbau für 850 oder mehr Personen wird einige Jahre in Anspruch nehmen. Weil eine Zusatzeinrichtung fehlt, die Zahl der Geflüchteten aber für Schleswig Holsten bis auf prognostizierte 6500 bis Jahresende ansteigen wird - 70 Prozent mehr als im Vorjahr -, steht das Innenministerium unter Zeitdruck.

Bei der Suche für eine Außenstelle ist man nun in Boostedts Rantzau-Kaserne fündig geworden, die bis 2016 im Rahmen der Bundeswehrreform komplett abgewickelt wird, zurzeit aber noch Soldaten für Kampfeinsätze im Ausland vorbereitet. Der 4600-Einwohner-Ort hat über Jahrzehnte die Uniformträger über den grünen Klee gelobt und sich mit diesen identifiziert, bis heute aber keinen einzigen Asylbewerber beherbergt. Jetzt hat die Bundeswehr grünes Licht gegeben, einen Teil der Liegenschaft mit Soldatenunterkünften in vier Blöcken für die künftige Unterbringung von Erstaufnahmeflüchtlingen zur Verfügung zu stellen, bevor diese dezentral in Schleswig-Holstein eine Bleibe finden sollen. Maximal 500 Schutzsuchende sollen ab 1. Januar für drei bis sechs Wochen in Boostedt aufgenommen werden.

Auf einer Bürgerversammlung am Mittwoch mit über 300 Besuchern wurde dem Ministerium noch einmal ein Beschluss der Gemeindevertretung übermittelt, dass der Ort sich angesichts der bestehenden Einwohnerzahl mit 500 Flüchtlingsplätzen »überfordert« fühle, aber bereit wäre, 250 Plätze zu akzeptieren. Das provozierte die übliche Stammtischparole, eine solche Unterkunft führe zu einem Anstieg der Kriminalität. Sympathisanten der Alternative für Deutschland waren auf der Versammlung zugegen, die NPD verteilte draußen Flugblätter. Der Boostedter Bürgermeister Hartmut König (CDU) berichtete von beleidigenden Anrufen und Angst um seine Familie, weil er sich nicht gegen die Aufnahme der Flüchtlinge ausgesprochen habe. Dass die Baugenossenschaft Holstein nun aber ein der Kommune zugesichertes Bauprojekt samt Seniorenanlage mit Verweis auf die entstehende Flüchtlingseinrichtung zurückstellen möchte, weil angeblich die Vermietungswahrscheinlichkeit sinken könnte, darf getrost in die Rubrik Alltagsrassismus einsortiert werden. Fragen an das Innenministerium nach einer Kompensation für die Flüchtlingsaufnahme sind ebenfalls zynisch.

Da der Bundeswehrbetrieb in der Rantzau-Kaserne vorerst normal weiterlaufen wird, bekommt die Aufnahmestelle einen eigenen Zugang. Zudem soll ein Zaun Flüchtlinge und Soldaten trennen. In unmittelbarer Nähe befindet sich zudem ein Schießübungsplatz, der auch von Polizeieinheiten genutzt wird. Ob es zweckdienlich ist, traumatisierte Flüchtlinge Schussgeräuschen auszusetzen, darf mit gutem Grund bezweifelt werden.

Auch im Kreis Pinneberg gibt es seitens der Kreisordnungsbehörde Überlegungen, die Marseille-Kaserne in Appen für eine Flüchtlingsnutzung herzurichten - parallel zum Bundeswehrbetrieb der dortigen Unteroffiziersschule der Luftwaffe.

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