Es war kein versuchter Mord

Milde Strafe für Böllerwerfer auf einer Demonstration vor vier Jahren

  • Peter Kirschey
  • Lesedauer: 3 Min.
Mit einer Bewährungsstrafe und zwei Freisprüchen endete gestern ein Prozess, der vor zwei Monaten mit einer Anklage wegen versuchten Mordes begann.

Das Ende ist meist kurz und knackig: »Im Namen des Volkes«, dann das Urteil und schließlich die mahnende Abschlusspredigt des Vorsitzenden Richters, sich zukünftig gesetzestreu zu verhalten. Gesetzestreu heißt in diesem Falle, nach Recht und Gesetz seinen Protest zu zeigen. Keine Vermummung, keine verfassungsfeindlichen Losungen und vor allem keine Gewalt.

Anders als vor vier Jahren und vier Monaten: Da demonstrierten 20 000 Berliner unter dem Motto »Die Krise heißt Kapitalismus« durch die Innenstadt. Gegen 14.08 Uhr krachte es mächtig in der Torstraße, dicke Rauchschwaden stiegen hinter einer Polizeikette auf. 14 Beamte erlitten Verletzungen. Drei Männer wurden später ermittelt, die den Knaller gezündet haben sollen. Bei folgenden Hausdurchsuchungen wurden beträchtliche Mengen an verbotenem Feuerwerk einkassiert.

Aus dem Geschehen machte die Berliner Staatsanwaltschaft Jahre später eine Anklage auf versuchtem Mord - mit einer möglichen Strafe zwischen zehn und 15 Jahren. Die drei Männer hätten eingeplant, dass »eine unbestimmte Anzahl von Personen schwere Wunden erleiden und daran versterben könnte.« Nicht zuletzt wegen der nach dem Knall erfolgten Medienhysterie: Von Attentat und Splitterbombe war die Rede, die drei ermittelten Böllermänner wurden in die Nähe von gemeingefährlichen Terroristen gerückt. Es war dann doch keine Splitterbombe, aber die Staatsanwaltschaft blieb bei ihrer Mordversuchsanklage. Für die Verteidigung der drei Männer zwischen 25 und 37 Jahren ein eindeutiger Beleg, dass es sich hier um eine politisch motivierte Anklage handele.

Dem widersprach der Richter in seiner Urteilsbegründung. Das Geschehen hätte durchaus als versuchter Mord eingestuft werden können. Nämlich dann, wenn der jetzt verurteilte Amateurfeuerwerker sich der Gefahren für Leib und Leben bewusst gewesen wäre, er billigend in Kauf genommen hätte, dass das Zünden eines Chinaböllers auf einer Demonstration zu schweren und schwersten Verletzungen hätte führen können. Auch bei dick eingepackten Polizisten, die zum Teil heute noch mit den Folgen der Ballerei hinter ihrem Rücken zu kämpfen haben.

Da er aber unbedarft zu Werke ging, die Folgen nicht bedachte, sich reuig zeigte, reifer geworden ist, seither ein straffreies Leben führt, in geordneten Verhältnissen lebt und das Verfahren so lange zurückliegt, verurteilte das Gericht den Werfer Johannes E. (26) wegen schwerer Körperverletzung zu zwei Jahren Haft auf Bewährung. Außerdem muss er an zwei damals verletzte Polizisten eine Buße von 2000 und 1500 Euro zahlen. Zuzüglich der Prozesskosten. Die beiden mitangeklagten Feuerwerkshelfer wurden in den wesentlichen Punkten freigesprochen. Es war, wie der Richter es abschließend nannte, einfach nur ein »dummes Vorgehen«. Damit ist für die Verteidigung der Versuch der Staatsanwaltschaft gescheitert, die Knallerei in die Nähe eines Terroranschlages zu rücken.

Die kurios-makabere Seite des Falles: Die Strafzeit von zwei Jahren wurde wegen der langen Wartezeit auf den Prozess gleich um drei Monate reduziert. Weil die Beweise für einen versuchten Mordanschlag zu dünn waren, blieben die mutmaßlichen Täter auf freiem Fuß. Weil sie nicht inhaftiert waren, wurde ihre Anklage immer und immer wieder verschoben. Denn Vorrang haben alle Fälle, bei denen die vermuteten Täter in Untersuchungshaft sitzen. Und so vergingen über vier lange Jahre, bis verhandelt werden konnte.

Es bleibt jedoch die klare Ansage des Gerichts: Knaller, Steine, Flaschen haben bei Massenveranstaltungen nichts zu suchen, weder in Fußballstadien noch auf Demonstrationen. Sie sind und bleiben hochgefährlich, die Folgen nicht vorhersehbar. Niemand hat das Recht, einen anderen Menschen zu verletzen. Wer seinen Protest zeigen will, der kann dies intelligenter und wirkungsvoller ohne pyrotechnisches oder splitterndes Beiwerk tun. Ansonsten landet man schnell als schlichter Krimineller auf der Anklagebank.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.