»Daish will unser Land zerstören«
Viele irakische Kinder haben keinen Unterricht, weil Schulen von Flüchtlingen bewohnt sind
»Die Lage ist wirklich schlecht, die letzten Anschläge waren in unserer Nachbarschaft«, beschreibt der ehemalige Sportlehrer Saad K. besorgt die Lage in Bagdad. An den zwei vorherigen Tagen waren Bomben vor Moscheen und auf einem Markt explodiert und hatten viele Menschen in den Tod gerissen. Saad ist schiitischer Muslim, lehnt aber die Darstellung ab, dass »Schiiten« das Ziel der Anschläge und »Sunniten« verantwortlich seien. »Die Anschläge richten sich gegen uns alle, gegen den Irak«, betont er und kritisiert die Berichterstattung im Fernsehen. »Daish ermordet Jesiden, Christen, Schiiten und Sunniten, Daish will unser Land zerstören.«
»Daish« - das ist die Abkürzung von »Dawlat al-Islam fi al-Iraq wal-Sham« wie die Gruppe »Islamischer Staat im Irak und in der Levante« (IS) im Arabischen heißt. »Wir haben hier einen Medienkrieg«, sagt Saad K., der heute als Geschäftsführer eine Firma für Haushaltsgeräte leitet. Die Darstellung der politisch bedingten innerirakischen und regionalen Konflikte in den Medien fachten religiöse Vorbehalte an, das mache sie alle sehr unruhig.
Aktuell haben Saad K. und seine Frau noch ganz andere Sorgen. Seit dem Ende der Sommerferien (21. September) konnten die drei Kinder nicht in die Schule gehen. »Die Schulen sind voll mit vielen Familien, die vor Daish geflohen sind«, erzählt er am Telefon. »Wir haben hier in Bagdad Zehntausende Menschen aus Mossul, Sinjar, Tikrit, Al Qaim, Hit, Ramadi und Falluja. Die Regierung ist völlig überfordert.«
Vor dem Vormarsch der IS und den Luftangriffen sind viele Menschen aus dem Norden und dem Westen des Landes nach Bagdad und in den Süden des Iraks geflohen. Die Terrormiliz IS, die Zehntausende Kämpfe in ihren Reihen hat, hält seit Juni große Gebiete in Syrien und im Irak unter Kontrolle. Am 8. August begannen im Irak die internationalen Angriffe gegen die Dschihadisten.
Die UN-Unterstützungsmission für Irak (UNSMI) gibt die Zahl der Inlandsvertriebenen im Irak seit Anfang 2014 mit 1,8 Millionen an. Derzeit seien in Bagdad 69 (von 16 000) Schulen von Vertriebenen bewohnt. Weit schlechter ist die Lage in der westlichen Provinz Anbar, wo etwa 40 Prozent der Schulen von Vertriebenen bewohnt seien. In Kirkuk sind laut UNSMI 9000 Personen in Schulen untergebracht. Und in der Provinz Diyala sind zehn Prozent der Schulen, in absoluten Zahlen 94, von Daish-Kämpfern besetzt, während zehn Schulen (ca. ein Prozent) von kurdischen Peschmerga-Kämpfern in Beschlag genommen sind.
In einigen Gegenden wurden nun Containersiedlungen errichtet, um die Schulen wieder ihrer ursprünglichen Bestimmung zuzuführen, teilte am Mittwoch die Sprecherin des Bildungsministeriums Salama al-Hassan mit. So konnte in einer Grundschule für Mädchen in der Palästina- Straße im Zentrum von Bagdad der Unterricht mit einem Monat Verspätung wieder beginnen. Doch in Saidiyah, einem südlichen Stadtviertel, leben noch immer 30 Familien in zwei Grundschulen, sagt Bushra Abdulhur Kadhim, die Direktorin der Umm Qasr Schule. »Natürlich sind wir für die Vertriebenen verantwortlich«, sagt sie. »Doch es ist die Aufgabe des Staates, ihnen und uns zu unseren Rechten zu verhelfen.«
In Gegenden, die nicht von der Regierung kontrolliert würden, werde »Fernsehunterricht« angeboten, so Al-Hassan vom Bildungsministerium. Vorausgesetzt, es gibt Strom. In den kurdischen Autonomiegebieten im Nordirak werden Schulen und Universitäten von der autonomen kurdischen Regierung verwaltet. Dort konnte das Winterhalbjahr für die Schulkinder plangemäß beginnen.
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