Angst mobilisiert Brasilianer

Vor der Stichwahl versammeln sich auch linke Kritiker wieder hinter Dilma Rousseff

  • Andreas Behn, Rio de Janeiro
  • Lesedauer: 3 Min.
In der Stichwahl in Brasilien am Sonntag trifft Amtsinhaberin Dilma Rousseff von der Arbeiterpartei (PT) auf den Liebling der Unternehmer, Aécio Neves. Rousseff liegt wohl vorne, aber es wird knapp.

Jaqueline macht Wahlkampf. Ein Aufkleber der Arbeiterpartei prangt auf ihrem T-Shirt, oft hat sie Flugblätter dabei, in Facebook diskutiert sie mit entfernten Bekannten über Politik. »So was habe ich noch nie gemacht. Ich komme mir vor wie meine Mutter, die davon erzählt, wie sie und ihre Freunde jahrelang Wahlkampf für Lula gemacht haben«, erzählt die 26-jährige Kommunikationswissenschaftlerin. Sie sei kein Fan der PT, und an der Regierung von Dilma Rousseff habe sie unzählige Kritikpunkte. »Aber mir ist die Vorstellung unerträglich, dass die Rechte mit ihrem neoliberalen Diskurs wieder an die Macht kommt«, sagt sie.

So wie Jaqueline geht es derzeit vielen Aktivisten und Vertretern sozialer Bewegungen. Sie stellen ihre Kritik an der PT-Regierung hintan, um zu verhindern, dass sie nach zwölf Jahren recht erfolgreicher Regierungsarbeit abgewählt wird. Die Angst erklärt sich nicht nur aus den Umfragen, in denen Rousseff und Herausforderer Aécio Neves von der PSDB fast gleichauf liegen. Erst zu Beginn der Woche konnte sich Rousseff einen kleinen Vorsprung erarbeiten, vielleicht wegen der Zehntausenden, die plötzlich wieder für die PT auf die Straße gehen.

Neves und seiner konservativen Parteienkoalition ist es gelungen, eine Art Wendeklima in Brasilien zu etablieren. Wichtigster Partner dabei sind die durchweg rechten privaten Massenmedien, die seit Monaten eine dramatische Wirtschaftskrise herbeischreiben. Zudem wird die PT als inkompetent, korrupt und selbstverliebt dargestellt, als eine Partei, die das Wohlergehen des Landes gefährdet. Hinzu kam der Medienhype um die ehemalige Umweltministerin Marina Silva, die dem tödlich verunglückten Eduardo Campos als Kandidatin der PSB folgte.

Zeitweise lag Silva in Umfragen sogar vor der Amtsinhaberin. Doch im ersten Wahlgang Anfang Oktober reichte es nur für einen guten dritten Platz mit 21 Prozent Stimmenanteil. Rousseff erreichte 41,5 und acht Prozent mehr als Neves, der damit in die Stichwahl am Sonntag einzog.

Silva, die sich stets als Option eines dritten Weges präsentierte, wendete sich vergangene Woche endgültig nach rechts. Nach kaum glaubhaften Versprechungen von Neves, er werde eine Agrarreform vorantreiben, den Umweltschutz fördern und sogar die Indígenas vor den Landbaronen schützen, sagte sie ihm und seiner Partei ihre volle Unterstützung zu. Für viele, die in ihr trotz des neoliberalen Wirtschaftsprogramms eine halbwegs linke Option gesehen haben, war diese deutliche Parteinahme nicht nachzuvollziehen. Für Luiz Inácio »Lula« da Silva hat es diesen dritten Weg nie gegeben. »Zur Wahl stehen zwei entgegengesetzte Modelle: Der Sozialstaat Brasilien oder das Zurück zu einem neoliberalen Brasilien«, so der immer noch sehr populäre Ex-Präsident.

Dementsprechend verteidigt Rousseff im Wahlkampf die Sozialleistungen sowie den starken Staat, der regulierend in die Wirtschaft eingreift. Neves beteuert, die Sozialprogramme nicht anzutasten. Er plädiert aber für eine liberale Ökonomie mit weniger Staat und mehr Unternehmerverantwortung. Die zunehmend heftige Konfrontation der beiden Widersacher hat indes dazu geführt, dass die Wahlkampagnen inhaltlich immer mehr verflachten. Die Fernsehdebatten sind von persönlichen Angriffen geprägt, oft unter der Gürtellinie. Zudem versucht Neves den jüngsten Korruptionsskandal beim staatlichen Ölriesen Petrobras zu nutzen und Rousseff in die Schuhe zu schieben. Rousseff kontert mit versteckten Hinweisen darauf, dass Neves - der gerne von Null-Toleranz und Ordnung spricht - Drogenprobleme habe. Selten war eine Wahl in Brasilien so spannend, selten so konfrontativ. Wer auch gewinnen mag, es wird für den Sieger nicht einfach sein zu regieren. Die Spaltung in das schon immer bessergestellte und das jetzt nachholende Brasilien ist deutlicher als zuvor und die gegenseitigen Vorbehalte sind größer geworden.

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