Folge 68: INTERNATIONALISMUS (Subst., der)
Lexikon der Bewegungssprache
Mit dem Internationalismus ist das so eine Sache. Wie jede gute Idee lässt er viel Raum für Interpretation. Fragt man einen Jungen und einen Alten, einen Deutschen oder Südamerikaner - die Vorstellungen gingen weit auseinander. Als Herzstück der Arbeiterbewegung rief der Begriff einst unter dem Slogan »Proletarier aller Länder vereinigt euch« dazu auf, die alle gleichermaßen drückende Ausbeutung im Kapitalismus als Grundlage für einen gemeinsamen Kampf zu begreifen. Später wurde er in der Gemeinschaft sozialistischer Staaten zu einem Begriff, der die solidarische Verbindung zwischen Nationen bezeichnen und befördern sollte. Und heute? Sie bleibt kompliziert die Sache mit der »Nation« und dem »inter«. Wie steht man zu Grenzen, wie geht man mit nationalstaatlicher Geschichte um, mit Kulturen und Identitäten?
Unverändert ist aber: Wo immer emanzipative Bewegungen aufkeimen, ob in Lateinamerika oder Afrika, sehen Internationalisten nicht das Fremde, sondern Genossen, die durch Arbeitsbrigaden, Spendensammlungen oder Austauschprojekte unterstützt werden müssen. Allerdings war die Entscheidung, wer unterstützt werden muss, schon einmal leichter als heute: Denn die Kämpfe in der Welt werden differenzierter, komplexer, lassen sich nicht in ein klares Schema pressen. Diffuser wird auch der »Feind«. Multinationale Konzerne, IWF, das Finanzkapital - sie alle springen leichtfüßig über Grenzen hinweg, lassen sich kaum fassen oder mit Waffen bekämpfen. Nicht nur Internationalisten sehen es daher heute so: All dem kann man nur global entgegentreten. jos
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