»Es gibt einen riesigen Graubereich«
Markus Meinzer vom Tax Justice Network über Schlupflöcher im Abkommen über einen automatischen Informationsaustausch in Steuerfragen
Über 50 Staaten unterschreiben das Abkommen zum automatischen Informationsaustausch. Ist dies im Kampf gegen Steuerhinterziehung ein Schritt in die richtige Richtung?
Im Vergleich zu vor fünf Jahren ist es ein großer Fortschritt. Damals wurde man für eine solche Idee noch belächelt. Doch die Frage ist, ob alle, die es tun sollten, diesen Schritt auch wirklich gehen. Und da haben wir große Zweifel. Denn das Abkommen dürfte es Staaten ermöglichen, willkürlich einzelne Daten zurückzuhalten. Die Gefahr besteht, dass dadurch auf internationaler Ebene ein Zwei-Klassen-Steuerrecht entsteht.
Warum ist dies zu befürchten?
Die Schweiz hat bereits erklärt, dass sie künftig nur jenen Staaten Informationen übermitteln will, die für sie strategisch wichtig sind. Und im Hinblick auf die Interessen ihrer Finanzindustrie will sie damit zudem nur äußerst langsam und behutsam anfangen.
Was müsste am Abkommen geändert werden?
Zumindest bräuchte es eine öffentliche Erklärungspflicht, wenn Staaten anderen Unterzeichnern Informationen nicht übermitteln. Natürlich wäre es aber besser gewesen, wenn festgeschrieben wäre, dass alle Staaten, die Daten haben wollen, diese im Prinzip auch bekommen und nur unter strengen Auflagen davon abgewichen werden kann.
Andere Mittel der Steuerfahndung, wie der Ankauf von CDs, werden also auch nach Inkrafttreten notwendig bleiben?
Natürlich suchen die Banken nach Mechanismen, die neuen Regeln zu umgehen. Teilweise tun sie es schon, weswegen Veröffentlichungen wie die von der Enthüllungsplattform Offshore-Leaks weiterhin von Relevanz bleiben. Zudem werden sich die Aktivitäten in Länder verlagern, die nicht bei dem Abkommen mitmachen oder mit Beratung der Finanzindustrie maßgeschneiderte Umgehungsmöglichkeiten entwickeln.
Trotzdem ist es für Sie ein Schritt in die richtige Richtung. Wie ist es dazu gekommen, dass so viele Regierungen unterzeichnen werden?
Da waren vor allem die USA Vorreiter. Sie führten bereits 2010 Gesetze ein, mit denen sie quasi gewaltsam den automatischen Informationsaustausch gegenüber Banken weltweit durchsetzen können. Und auch in Deutschland hat man lange mit der Schweiz verhandelt, bis der Bundesrat das bilaterale Abkommen ablehnte, weil es unter anderem eine Straffreiheit garantierte. Dies führte dazu, dass der automatische Datenaustausch jetzt kommt. Ironischerweise sind es nun die USA, die das Abkommen abzulehnen drohen, als ihre Brieftasche gerne füllen, aber weniger bereit sind, auch anderen zu ihren rechtmäßigen Steuereinnahmen zu verhelfen.
Der diplomatische Aufwand, bis es dazu kam, war aber beachtlich. Wie hoch ist eigentlich das Volumen an hinterzogenen Steuern?
Das tatsächliche Ausmaß von Steuerhinterziehung ist nur sehr schwer zu schätzen, da es keine harten Zahlen gibt. Doch laut einer Studie aus dem Jahre 2012, die noch immer aktuell ist, werden auf Konten in Steuerparadiesen 21 bis 33 Billionen US-Dollar vor dem Fiskus versteckt. Dies entspricht jährlichen Einnahmenverlusten für die Staaten von mindestens 190 bis 280 Milliarden US-Dollar.
Entsteht durch legale Steuervermeidungsstrategien der Konzerne nicht noch größerer Schaden für die öffentlichen Haushalte?
Das Problem ist, dass es einen riesigen Graubereich zwischen legaler Steuervermeidung und illegaler Steuerhinterziehung gibt. Die Unternehmen und Wirtschaftsprüfer sagen zwar, dass sie nichts Verbotenes tun, aber glaubwürdig ist dies nicht.
Inwiefern können Sie diesen Unternehmen nicht trauen?
Wenn beispielsweise die vier größten Wirtschaftsprüfer vor dem britischen Parlament zu Protokoll geben, dass sie Steuervermeidungsmodelle verkaufen, die nur eine 50-Prozent-Chance haben, vor Gericht als legal anerkannt zu werden, dann muss man doch die scharfe Unterscheidung in legal und illegal infrage stellen. Zudem kommt es ja auch immer wieder zu Strafzahlungen oder Geldauflagen in dreistelliger Millionenhöhe, weil diese Modelle dann doch nicht so legal waren.
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