Politikerprovokationen und Auto-Intifada
In Jerusalem nimmt die Nervosität im öffentlichen Raum nach Anschlägen und Ausschreitungen zu
Avi ist sauer. Am Morgen seien Mitarbeiter der Stadtverwaltung gekommen, erzählt der Zeitungshändler; er solle seinen Stand bitteschön in der Fußgängerzone aufbauen. Direkt auf dem Bürgersteig der vielbefahrenen Straße im Zentrum von West-Jerusalem sei es momentan zu gefährlich. »Tja, und jetzt verkaufe ich kaum noch was«, ruft der Mann. Auf der Titelseite des Stapels mit den Boulevardzeitungen vor ihm erklärt ein Kommentator, die dritte Intifada sei nicht nah, sondern da - »die Auto-Intifada«.
Denn es sind keine Bomben, zur Detonation gebracht von Selbstmordattentätern, die derzeit die Schlagzeilen bestimmen, sondern ganz normale Autos, die als Waffe benutzt werden: Drei Mal sind im Laufe von nur zwei Wochen Fahrer urplötzlich in Menschenmengen gerast; ein Vorfall außerhalb der israelischen Siedlung Gusch Etzion im Westjordanland am Mittwochabend stellte sich am Donnerstag als Unfall mit Fahrerflucht heraus.
In Online-Foren erklären Anhänger der Hamas selbstbewusst, das eigene Auto sei die »Kassam-Rakete des einfachen Mannes«. Die Hamas hatte sich zu mehreren der Anschläge bekannt - und damit Israels Sicherheitsdienste in Aufregung versetzt. Denn militante palästinensische Organisationen experimentierten bereits seit Jahren mit der Strategie »Auto-Intifada«: Mal raste ein Baggerfahrer plötzlich gegen einen Bus, mal ging ein Arbeiter mit einer Bohrmaschine auf Menschen los. In den vergangenen fünf Jahren wurden 14 solcher Vorfälle aktenkundig.
Schon gibt es Unternehmen, die beginnen, arabische Arbeiter zu ersetzen. Plötzlich steht jeder von ihnen unter dem Generalverdacht. In Jerusalem werden die Bürgersteige von Hauptstraßen durch Betonblöcke gesichert, während viele Passanten auf ungewöhnliches Verhalten im Straßenverkehr achten.
Denn Anzeichen für eine Entspannung gibt es nicht - im Gegenteil: Immer wieder besuchen israelische Politiker, die dem Likud-Block von Premierminister Benjamin Netanjahu oder der Siedlerpartei »Jüdisches Heim« angehören in diesen Tagen demonstrativ den Tempelberg, Standort der Al-Aksa-Moschee; rechte Organisationen haben ihre Anhänger zudem zu einem Marsch dorthin aufgerufen. Offiziell geht es dabei darum, dass Juden dort beten dürfen. Auf Grund des besonderen politischen und religiösen Status der Anlage ist es Nichtmuslimen bislang verboten, dort sichtbare religiöse Handlungen zu vollziehen.
Doch die Forderung nach dem Gebetsrecht hat wenig mit Religion und viel mit Politik zu tun: Immer wieder fordern rechte Politiker, Israels Regierung solle die Souveränität über den Haram al-Scharif erklären. Denn zwar hat Israel 1980 Ost-Jerusalem annektiert, was international nicht anerkannt worden ist, doch der Tempelberg wurde damals davon ausgenommen. Dort ist Jordanien, dass bis 1967 über das Westjordanland und Ost-Jerusalem herrschte, die Schutzmacht; verwaltet wird die Anlage von einer Stiftung, des sogenannten Wakf.
Jordaniens Regierung droht deshalb nun damit, den 1994 unterzeichneten Friedensvertrag mit Israel auf den Prüfstand zu stellen. Am Mittwoch wurde der jordanische Botschafter aus Tel Aviv abgezogen; der israelische Botschafter in Amman wurde mehrmals einbestellt. Zwar hatte Netanjahu öffentlich erklärt, dass seine Regierung nicht am Status Quo rütteln werde. »Das ist nicht genug«, sagt ein Sprecher der jordanischen Regierung: »Wir hören die Worte, sehen aber ganz anderes.«
Und zwar: Die Politikerbesuche werden mit Hilfe der Polizei durchgesetzt; nachdem es in der vergangenen Woche zu Ausschreitungen gekommen war, wurde zum ersten Mal seit mindestens 15 Jahren kurzerhand die gesamte Anlage für mehrere Stunden und dann am Mittwoch erneut für eine Stunde geschlossen. Der Zugang für Palästinenser ist nur stark eingeschränkt möglich. Der Grund: Einmal mehr droht »Jüdisches Heim« mit dem Bruch der Koalition; zudem steht beim Likud-Block demnächst die Wahl des Parteivorsitzenden an. Und Netanjahus Führungsanspruch ist innerhalb des Likud umstritten.
Palästinas Außenminister Rijad al-Maliki warnte: »Sollte Israel seine derzeitige Politik fort setzen, wird es einen bislang nicht da gewesenen religiösen Konflikt geben.«
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