Die Koalition der Nervösen
Rot-Rot-Grün in Thüringen verrät nur wenig aus den Verhandlungen
Erfurt. Die Verhandlungsgruppen der Grünen und Linken kommen wie gewohnt zu Fuß zu den Verhandlungen geschlendert – jedenfalls die letzten Meter des Weges zur Erfurter Messe, wo die ganz große Verhandlungskommission von Rot-Rot-Grün am Mittwoch tagt. Jeweils in parteipolitisch sauber getrennten Gruppen kommen sie nacheinander an. Sie gehen über den großen Platz vor der Messehalle und geben sich große Mühe, zu lächeln, zu lächeln und zu lächeln. Und zu scherzen, gute Laune zu verbreiten, keinen Zweifel daran zu lassen, wie gut die Koalitionsgespräche zuletzt vorangekommen sind. »Heute ist, wenn Sie so wollen, Bergfest dieser Koalitionsverhandlungen«, sagte die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Anja Siegesmund, kurz bevor sie am Morgen durch eine der äußeren Türen ins Innere der Messe geht. Die Sozialdemokraten sind ein bisschen zu spät dran und fahren mit dem Auto bis vors Gebäude. Aber auch sie: Gut gelaunt, lächelnd und zu Scherzen aufgelegt.
Ist diese gelöste Stimmung echt? Oder ist sie gespielt? Oder ist sie beides? Das lässt sich nur schwer sagen. Kein Zweifel aber kann daran bestehen, dass diese Leichtigkeit – die potenziell echte ebenso wie die möglicherweise aufgesetzte – die Kehrseite der Tatsache ist, dass trotz der schon gelaufenen, sehr umfangreichen Sondierungsgespräche alle potenziellen Regierungspartner derzeit äußert nervös agieren.
Sichtbar wird diese Nervosität beispielweise daran, dass seit Tagen schon niemand mit inhaltlichen Details der Verhandlungen an die Öffentlichkeit gehen will, solange diese noch nicht hundert-und-ein-prozentig mit wirklich allen Partnern abgestimmt sind. Warum? Bloß keinen Grund zum Disput liefern, bloß keine schlechte Stimmung verbreiten, das rot-rot-grüne Experiment bloß nicht auf den letzten Metern scheitern lassen – all das umso mehr, weil niemand im politischen Erfurt einen echten Plan B für den Fall hat, dass dem Bündnis der Versuch der Regierungsübernahme misslingt.
Zum anderen macht ein Krisentreffen vom Mittwoch offenbar, wie nervös Linke, Sozialdemokraten und Grüne sind – weil aus den Verhandlungskreisen etwas Unabgestimmtes nach außen gedrungen war. Nämlich, dass es Streit zwischen den potenziellen Partnern darüber geben soll, wer welches Ministerium mit welchem Zuschnitt bekommt. Im kleinen Kreis hatten sich Funktionäre der Parteien daraufhin zu einem etwa viertelstündigen Gespräch zurückgezogen. Am Mittwochabend räumt die Vorsitzende der Thüringer Linken, Susanne Hennig-Wellsow, dann ein, es habe den Wunsch ihrer Partei gegeben, noch einmal über »Kommunikationsregeln« zu sprechen.
Als »Krisentreffen« will Hennig-Wellsow das Gespräch freilich nicht verstanden wissen. Auch nicht als Austausch »der Parteispitzen«, obwohl die Führungsfiguren von Linken, SPD und Grünen daran teilgenommen haben. Und doch sagt Hennig-Wellsow mit Blick auf diese »Unterbrechung der Sitzung« einen Satz, der wie kein anderen an diesem Tag einen Blick ins Innenleben dieser Koalition der Nervösen zulässt, ausgelöst durch einen Medienbericht: »Wir haben uns noch mal unser Vertrauen gegenseitig versichert und wiedergewonnen.« Wiedergewinnen lässt sich nur, was schon mindestens ein bisschen verloren schien.
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