Ein Machtwort zugunsten der Rechten
Israel unterstellt »obsessive Feindschaft« und boykottiert UN-Untersuchung zum Gaza-Krieg
Es sei eine hitzige Debatte gewesen, die sich am Mittwochmorgen im Kabinettszimmer der israelischen Regierung abspielte, sagen Minister, die dabei waren. In Jordanien waren Tage zuvor die Mitglieder einer UN-Untersuchungskommission zum Gaza-Krieg eingetroffen und warteten seitdem auf die Einreisegenehmigung für Israel und den Gaza-Streifen.
Nach der Kabinettssitzung am Mittwoch wurde diese dann offiziell verweigert: Vor allem Regierungschef Benjamin Netanjahu und die Minister der rechten Partei »Jüdisches Heim« sind gegen alles, was als Kooperation mit der Untersuchung ausgelegt werden könnte. Und obwohl es im Kabinett eine Mehrheit für die Zusammenarbeit gibt, setzten sie sich am Ende durch: »Netanjahu hat einfach ein Machtwort gesprochen«, sagt einer der Anwesenden. Eigentlich sieht der Koalitionsvertrag vor, dass sich der Regierungschef an Mehrheitsentscheidungen halten soll, obwohl er das nach dem Gesetz eigentlich nicht müsste. Doch längst ist klar, dass diese Koalition nicht mehr lange zu leben hat. Und Netanjahu setzt seitdem auch offen die Minderheitsforderungen der Rechten um.
Deren Haltung: »Das Ergebnis der Untersuchung steht bereits fest,« hatte Handelsminister Naftali Bennett gesagt, nachdem der UN-Menschenrechtsrat am 23. Juli in einer Sondersitzung entschieden hatte, das Handeln beider Seiten im Gaza-Krieg auf mögliche Kriegsverbrechen untersuchen zu lassen. Nun heißt es in einer Erklärung des israelischen Außenministeriums, es handele sich dabei gar nicht um eine ernsthafte Untersuchung, sondern um die Festschreibung eines bereits im Vorfeld feststehenden Urteils. Das Gremium, das von dem kanadischen Juraprofessor William Schabas geleitet wird, leide unter einer »obsessiven Feindschaft« Israel gegenüber.
Ein Vorwurf, den Schabas weit von sich weist: Er sei bereits oft in Israel gewesen und wolle die Sache mit »offenen Augen« angehen. Und auch aus dem Justizministerium ist Kritik an der Entscheidung Netanjahus zu hören. Zwar hatte Justizministerin Zippi Livni, die dem politischen Zentrum angehört, im August gesagt, die Schabas-Kommission sei »in Sünde geboren«. Doch fand sie, Israel sei ausreichend gewappnet, mögliche Vorwürfe zu kontern. Dafür hatte man eigens eine Abteilung gegründet, die juristische Argumente für die Art der Kriegsführung liefern soll.
Bei einem Treffen mit Jitzhak Herzog, dem Vorsitzenden der Arbeiterpartei, und Vertretern der arabischen Gemeinschaft in Israel kritisierte sie am Donnerstag, Netanjahu setze auf Konfrontation statt Kooperation; dadurch habe er Israels internationale Beziehungen schwer beschädigt: »Und dies in einer Zeit, in der wir die internationale Gemeinschaft dringend brauchen.«
So verweigert Netanjahu dem UN-Menschenrechtsrat bereits seit Jahren die Zusammenarbeit. In letzter Zeit geht er allerdings auch auf offenen Konfrontationskurs sowohl gegen die US-Regierung als auch gegen die EU und einzelne Staaten und kann dabei auf seinen Außenminister Avigdor Lieberman bauen, mit dem ihn eigentlich eine innige Feindschaft verbindet. So warf Liebermann der neuen schwedischen Außenministerin Margot Wallström vor, die Verhältnisse im Nahen Osten seien komplexer als »Ikea-Möbel«, und Netanjahu schob nach, Wallström sei eben noch neu im Job. Mit der neuen EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini lieferte er sich ein Wortgefecht über den von ihr kritisierten Siedlungsbau in Ost-Jerusalem: Jerusalem sei keine Siedlung, sondern Israels Hauptstadt.
Bei der Linken und im Zentrum fand man diese Aussagen aber nicht nur deshalb bemerkenswert, weil Netanjahu damit die Beziehungen zu Europa eine Stufe heruntergefahren hat - mit seinem klaren Bekenntnis für den Siedlungsbau hat er sich auch auf die Seite der Rechten gestellt, nachdem er sich jahrelang unverbindlich gegeben hatte.
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