99 schwarze Ballons

  • Andreas Gläser
  • Lesedauer: 3 Min.

Am kommenden Sonntag trifft in Berlin-Mitte, im Deutschen Theater, Gregor Gysi auf Peter Maffay. Sie möchten sich angeregt unterhalten, doch wie mir schwant, singen sie Karats »Schwanenkönig«, die unzensierte Version, deren Kehrreim einst im »Eulenspiegel« auftauchte: »Wenn ein Hahn stirbt/ weinen die Hennen/ wenn ein Hahn stirbt/ heulen sie und flennen /doch wenn ein Huhn stirbt/ danach kräht kein Hahn/ oh wie grausam, das Leben sein kann.« Gregor und Peter haben lange vor der Wende einige Lieder eingesungen, doch nie veröffentlicht.

40 Jahre haben sie uns betrogen. Der kommende Sonntag wird es in sich haben, vor allem zwischen Frühstück und Hühnerfrikassee, wahrscheinlich auch zwischen Mittagessen und Schwanenragout. Die beiden Männer lassen vor der Kulturhochburg 99 schwarze Ballons aufsteigen, symbolisch für die Schwermut, die auf den Menschen aller Unrechtssysteme lastet und die sich verflüchtigen soll.

Denn was am letzten Sonntag zwischen Wedding und Prenzlauer Berg und anderswo stattfand, traf nicht den Charakter der Berliner Mauer. Die 7000 weißen Ballons auf den Stelen wirkten zu optimistisch, eigentlich sogar wie lobpreisende Lichtfestspiele. Und als die Bälle endlich ins Nichts aufstiegen, erst mattgrau, dann ins schwarz, konnte man meinen, es seien tausend Anklagen gegen die Ungereimtheiten aller deutschen Regime. Das ist nur Gregor und Peter aufgefallen, denn umgekehrt hätte es am letzten 9. November sein müssen: Bälle, erst duster wie der Osten, dann grell wie der Westen! Ich bin gespannt auf diese verspätete Gegenveranstaltung.

Vielleicht steigen zum Himmel nur einige schwarze Ballons auf, während andere einfach hinunterpurzeln, als wären es Medizinbälle. Und überhaupt: In einem Theater findet selbiges doch nicht nur auf der Bühne statt, sondern im gesamten Hause. Wahrscheinlich führt der Pförtner, der allerletzte Kommunist, Gregors Leibgarde zur Waffenkammer und Peters Patrouille in den Pyropalast. Bestimmt sind einige große Häuser der Nachbarschaft unterirdisch zu erreichen, so dass es zeitnah im Friedrichstadtpalast und im Berliner Ensemble lauter knallt, als irgendwo das Geschirr klappert.

»Gregor trifft Peter«, lautet das Motto zurückhaltend; nicht »99 schwarze Ballons«, und ein Buch, das man vorab lesen könnte, gibt es nicht, unabhängig davon, dass man das Stück auch dann nicht verstehen würde. Zum Finale treten die elf Jungs von Seeed in zwitterigen Obertrikotagen der ost- und westdeutschen Fußballnationalmannschaften auf und singen deren Lieder. Die 610 Eintrittskarten sind vergeben, die 420 Freiexemplare vom »nd« eigentlich auch. Aber da es im Hause früher oder später rummst, ist es sozusagen offen, und wenn die Feuerwehr kommt, geht die Party richtig los.

Deutsches Theater, so furchtbar wie die Volksbühne. Ich bin dabei. Udo Lindenberg kommt nicht, er muss im Adlon alle Mülleimer runterbringen.

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